Ein Künstler- und Lebensroman: Ralph Dutlis Debüt „Soutines letzte Fahrt“

Was haben Ralph Dutli und Theodor Fontane miteinander gemeinsam?
Sie haben beide mit 58 / 59 Jahren ihren ersten Roman veröffentlicht.

Bei Fontane wissen wir, dass auf seinen umfangreichen Erstling „Vor dem Sturm“ noch viele gute, meist kürzere Romane gefolgt sind, bis hin zu seinem späten, wieder etwas umfangreicheren Meisterwerk „Der Stechlin“; bei Dutli wissen wir vorerst nur, dass ihm sein Erstling wirklich gut gelungen ist und dass wir vielleicht noch auf weitere Roman-Überraschungen von ihm gefasst sein dürfen.

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Ralph Dutlis 272 Seiten umfassender Roman „Soutines letzte Fahrt“ scheint sich vom Thema her vorrangig in die gerade auch aus der deutschen Literaturgeschichte her bekannte Gattung „Künstlerroman“ einzureihen.

Denkt man kurz nach, fallen einem auch durchaus einige deutschsprachige Künstlerromane ein, in denen Maler, überhaupt bildende Künstler, mehr oder weniger zu Hauptfiguren bestimmter Romane auserkoren worden sind: „Franz Sternbalds Wanderungen“ (Ludwig Tieck), „Maler Nolten“ (Eduard Mörike), „Goya oder der arge Weg der Erkenntnis“ (Lion Feuchtwanger), „Der Judas des Leonardo“ (Leo Perutz), „Deutschstunde“ (Siegfried Lenz) usf.; auch Erzählungen wie „El Greco malt den Großinquisitor“ (Stefan Andres) und „Barlach in Güstrow“ (Franz Fühmann) sollten nicht unerwähnt bleiben.

Dennoch: Romane von Rang, in denen weltberühmte Maler porträtiert werden, sind ziemlich selten, und wenn es auch Romane über Rembrandt, van Gogh, Michelangelo, Grünewald u.s.w. durchaus gibt, wird man solche nur ganz selten unter den Hauptwerken der Literaturgeschichte finden. So mag es weise gewesen sein, dass Albrecht Dürer bei Tieck und Leonardo da Vinci bei Perutz nur am Rande oder im Hintergrund auftauchen oder aber auf bekannte, allzubekannte Namhaftigkeit auch außerhalb des Romans (vgl. „Maler Nolten“) gleich ganz verzichtet wird.

Ralph Dutli wählt sich für seinen biographisch fundierten Roman einen Maler aus wie Chaim Soutine, der im öffentlichen Bewusstsein vom Bekanntheitsgrad her bei weitem nicht so verankert ist wie etwa Pablo Picasso oder auch Marc Chagall, die übrigens in Dutlis Roman durchaus nicht unerwähnt bleiben und von denen Marc Chagall sogar gelegentlich als Kontrastfigur zu Chaim Soutine dient. Dass Ralph Dutli nun anders als im Falle Ossip Mandelstams keine Biographie schreibt, sondern gleich einen Roman, scheint mir im Fall von Chaim Soutine durchaus angebracht und vermag vor allem im Ergebnis voll zu überzeugen.

Wir begleiten Chaim Soutine für die Zeit vom 6. August 1943 bis zu seinem Tod am 9. August 1943 auf seiner letzten Fahrt von einem Krankenhaus in Chinon zu einem in Paris, zu dem er langwierig und vorsichtig auf Schleichwegen in einem Krankentransportgefährt, das sich als Leichenwagen tarnt, schließlich gebracht wird. Ob diese Fahrt nun genauso stattgefunden hat oder auch nicht, ist nicht sicher verbürgt (wodurch Raum für behutsam und einfühlsam Fiktives entsteht), wohl aber, dass dieser umständliche Transport von Chinon nach Paris mit dem baldigen Tod des Malers geendet hat, da die erhoffte Operation in Paris keine Lebensrettung mehr bringen konnte.

Im Roman nun begegnen wir, auf der Folie seiner von seiner Lebensgefährtin Marie-Berthe Aurenche begleiteten letzten Fahrt, Kapitel für Kapitel (auf so kunstvoll wie plausibel verschlungene Weise) bestimmten früheren Lebenssituationen des ursprünglich aus einem Schtetl bei Minsk herstammenden Malers. Dabei entsteht ein sehr dichtes Bild; ein lebendiges Porträt dieses Malers und seiner Eigenart und seiner Stellung unter den Menschen und ein Bild von der oft recht verworrenen, nicht nur für diesen jüdischen Maler gefährlichen Zeitsituation.

Das rege Interesse an dieser Lektüre ist bei mir nie erlahmt, aber erst mit dem äußerst feinfühligen, ein indirektes, zeitlich versetztes Zwiegespräch zweier einander auch unausgesprochen Liebender montierenden 14. Kapitel („Mademoiselle Garde und das nichtige Glück“, ein Kapitel, das man indes nicht isoliert, sondern im Zusammenhang des Ganzen lesen sollte) habe ich den Roman zu lieben begonnen.

Es steht zu hoffen, dass der Roman Ralph Dutlis den Blick auf die geretteten Bilder Chaim Soutines neu zu beleben vermag bzw. allererst eröffnet.

Ralph Dutli: „Soutines letzte Fahrt“. Roman, Wallstein Verlag Göttingen 2013, 272 Seiten, 19,90 Euro.