Sophie-Mayuko Vetter zelebriert beim Klavier-Festival Ruhr die Klangfarben der Melancholie

Die Pianistin Sophie-Mayuko Vetter, mit verharrender Hand dem Klang nachspürend. Foto: Mark Wohlrab

Die Pianistin Sophie-Mayuko Vetter, mit verharrender Hand dem Klang nachspürend. Foto: KFR/Mark Wohlrab

Manchmal gibt es diese Abende. Die uns noch eine Zeit lang beschäftigen. Die nachwirken ob dessen, was es zu hören gab. Die dem Publikum Konzentration und Geduld abverlangen, außerdem die Bereitschaft, mehr zu wollen als pure Unterhaltung. So wie jetzt beim Auftritt der Pianistin Sophie-Mayuko Vetter, deren Programm sich als überwiegend dunkel tönender musikalischer Kosmos entpuppt. Wo Disparates auf lineare Poesie trifft, Melancholie auf trotziges Aufbegehren.

Vetter widmet sich, als Gast des Klavier-Festivals Ruhr, einem Werkkanon, der abseits jener üblichen Beethoven-Chopin-Schumann-Linien anzusiedeln ist, die uns allenthalben entgegen tönen. Sie erkundet die  schwärmerische, nachtschwarze, todesnahe Seite der Romantik und wagt, davon ausgehend, einen Blick zur Moderne. Das geschieht ohne nennenswerte körperliche Außendarstellung, nur manchmal schweben der Pianistin Hände über der Tastatur – wie ein kurzes Innehalten, um dem gerade Erklungenen noch mehr Nachdruck zu verleihen. Ohnehin scheint sie mit der Musik verwachsen,  mit dem Wechselspiel von Akkorden, Phrasen und Harmonien fest verwoben.

Der Auftritt der Deutsch-Japanerin in Holzwickede (Haus Opherdicke) ist jedenfalls von bezwingender Intensität. Wenn sie Richard Wagners kaum gespielte As-Dur-Sonate interpretiert, des Komponisten Liebeserklärung an Mathilde Wesendonck, dann entwickelt Vetter aus größter Ruhe heraus eine mehr und mehr ungezügelte Schwärmerei, verbunden mit sublimer Farbgebung. Und bereits dieser Beginn macht deutlich, dass die Solistin aus innerer Notwendigkeit heraus all ihr Können in die Waagschale legt. Um dem Publikum zu sagen, dass Musik hören mehr ist als nur Plaisir.

Es mag auch kein Vergnügen aufkommen, wenn Liszts Trauermusik „Am Grabe Richard Wagners“ aufklingt, stockend und düster, das Grübeln über den Tod inbegriffen. Oder wenn Liszts Spätwerk „Unstern. Sinistre. Disastro“ ertönt – des alten Meisters dumpfes Grollen und stampfendes Klagen über das Wüten der Welt sowie sein sanftes Singen über die Einsamkeit. Natürlich reizt die Pianistin hier die dynamische Bandbreite voll aus, doch nie wirkt ihr Spiel in dem kleinen Saal knallig. Und alles ist zuerst Klang.

Das verwundert kaum, denn Sophie-Mayuko Vetter hat auch ein Studium des Obertongesangs absolviert. Jener Technik also, die aus einem Ton gewissermaßen Ableitungen herausfiltert, sodass der Höreindruck von Mehrstimmigkeit entsteht. Diesen Umgang mit Klang hat sie auf bestechende Weise auf ihr Klavierspiel übertragen. Und in einem Stück wie Peter Ruzickas „Über Unstern. Späte Gedanken für Klavier“ kann sie ihre Sensibilität für die Farben einer Musik voll ausspielen. Hinzu kommt, dass Vetter sich mit Ruzickas Klavierwerk seit jeher intensiv beschäftigt hat.

Die Pianistin, ganz entspannt. Foto: KFR/Mark Wohlrab

Die Pianistin, ganz entspannt. Foto: KFR/Mark Wohlrab

„Über Unstern“ ist eine Reflexion auf die gleichnamige Liszt-Komposition, im Auftrag des Klavier-Festivals geschrieben. Das Stück erfährt an diesem Abend seine Uraufführung. Ruzicka hat im Prinzip originales Material verwendet, um es im nächsten Moment zu verfremden. Liszts düsteres Grollen wird mit harten Diskantschlägen konterkariert. Verdichtungen werden noch enger zusammengepresst, dann entlädt sich die Spannung in wilden Figuren. Wo Liszt Zeitläufte reflektiert, schildert Ruzicka das Weltenwüten selbst, das sich am Ende in quirligen Tonumspielungen auflöst, wie Messiaens farbentrunkenes Vogelgezwitscher. Vetter interpretiert das großartig und wir geben uns dieser rauschhaften Musik vorbehaltlos hin.

Hans Werner Henzes „La mano sinistra“ wirkt dann wie ein melancholischer Nachklang. Das Stück für die linke Hand, Leon Fleisher gewidmet, entwickelt sogar einen Hauch von lichter Transparenz mit harmonischen Farbspielen. Doch Akkorde, die wie ein Fanal wirken, stehen jeder freundlichen Stimmung im Weg. So bleibt am Ende, mit Brahms’ späten Klavierstücken (Opus 117/118), die Suche nach Trost im Melancholischen, die Hoffnung nach Erlösung von Resignation und Einsamkeit. Hier indes stößt Vetters klangbetontes Spiel an seine Grenzen. Um des Nachhalls willen geht die Stringenz bisweilen verloren. Dann schrumpft dunkel tönendes Melos zu einer Ansammlung von Aphorismen. Die Frage, die sich daraus ergibt, kann allerdings nur jeder für sich selbst beantworten: Mindert oder steigert das Verharren die Spannung?

Nun, für uns hat sich Sophie-Mayuko Vetters Klavierabend als einzig spannendes Abenteuer erwiesen. Eines, das noch eine Weile nachwirkt.