Kulturhauptstadt regiert Stadion und Autobahn

Dortmunder, jetzt müsst ihr tapfer sein: Das Mega-Ereignis „Kulturhauptstadt Ruhrgebiet” soll am 9. Januar 2010 ab 20 Uhr mit einem riesigen Fest „auf Schalke” eröffnet werden. Diese Katze (oder: diesen Tiger?) ließ „Ruhr 2010”-Geschäftsführer Fritz Pleitgen gestern aus dem Sack.

In der Dämmerung schließt sich dann wohl eine gigantische „Licht-Show” von Duisburg bis Unna an. Zuvor soll es an jenem denkwürdigen Tag eine gediegen-klassische Feier in der Essener Philharmonie geben. Gedankenspiel zum Trost fürs östliche Revier: ein gemeinsamer Auftritt aller Gospel-Chöre der Region im Dortmunder Fußball-Tempel.

Pleitgen betonte, alle Vorhaben befänden sich derzeit noch im Planungsstadium. Er will halt dem Aufsichtsrat und den finanziellen Möglichkeiten nicht vorgreifen.

Manches nimmt allerdings schon recht konkrete Gestalt an. So auch das wohl aufwändigste Unterfangen, nämlich die Vollsperrung der Autobahn A 40 zwischen Dortmund (oder gar Unna) und Duisburg für ein bislang beispielloses, (multi)kulturelles und kulinarisches Volksfest.

Gigantische Tafel aus etwa 20 000 Tapeziertischen

Man hat schon mal grob gerechnet: Bis zu 20 000 Tapeziertische sollen dann zu einer gigantischen Tafel aneinander gereiht werden. Pleitgen, der die Chefsache mit NRW-Ministerpräsident Rüttgers und Verkehrsminister Wittke aushandelt: „Eigentlich ist es nicht machbar, aber wir machen es!”

Die Sperrung soll im Hinblick auf einen Sonntag (18. oder 25. Juli 2010) erfolgen – kurz nach dem Fußball-WM-Finale in Südafrika (11. Juli). Vermutlich muss die „Blockade” am Samstagabend beginnen und bis zum frühen Montagmorgen reichen. Vieles ist zu klären: Umleitungen, Sicherheitsfragen, Reinigung der Fahrbahnen, Einnahme-Ausfälle von Anrainern (Tankstellen, LKW-Maut etc.) und so fort. Dennoch traut sich Pleitgen schon jetzt, einen bürgerfreundlichen Preis für die Tapeziertische anzupeilen: „Pro Stück könnten sie ungefähr 4,99 Euro kosten.” Jeder Tischkäufer kann dann seinen Beitrag frei gestalten.

Bislang 900 Projekt-Vorschläge eingetroffen

Pleitgen und sein Ko-Geschäftsführer Oliver Scheytt werfen die Netze der Kulturhauptstadt immer weiter aus. Unter dem frisch geschöpften Markenmotto „Ruhr 2010 – Europas neue Metropole” werden Partner aus allen Bereichen mit an Deck geholt. Das Spektrum reicht vom ADAC (wichtig für Tourismus) über Kirchen und Unis bis zum Deutschen Fußballbund. Pleitgen („Auch Sport ist Kultur”) verhandelt mit den Spitzen von DFB und UEFA. Er stellt in Aussicht, dass das Revier just 2010 hochkarätige Länderspiele und womöglich Final-Begegnungen europäischer Wettbewerbe erleben werde.

Von den Künsten war gestern auch die Rede. Etwa 900 Projekt-Vorschläge zur Kulturhauptstadt sind bislang eingetroffen. Grenzlinie: 31. Oktober 2007. Dann wird die Spreu vom Weizen gesondert, wobei durchdachte Nachzügler-Ideen auch noch Chancen haben. Pleitgen mahnt allerdings zur Eile: „Wir liegen zwar ganz gut im Rennen, doch wir bleiben unter Zeitdruck.” Leitgedanke jedenfalls: Die Kulturhauptstadt will sich in erster Linie auf vorhandene Theater, Museen, Festivals usw. stützen, die man zu vielfältigen Kooperationen anstiften möchte.

Fritz Pleitgen, der die Kulturhauptstadt auch als „nationale Aufgabe” sieht, stellte klar, dass jede der 53 beteiligten Gemeinden 2010 für je eine Woche ganz speziell im Mittelpunkt stehen kann. Mit ortstypischen, doch übergreifend wirksamen Projekten dürfen dann auch kleinere Städte glänzen. 32 Wochen des Jahres 2010 sind auf diese Weise bereits gebucht.

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Hochinteressant, wie sich die Anzahl der rund 900 Projekt-Vorschläge auf einzelne Städte verteilt. Von Ortsgrößen abgesehen, signalisiert die Liste, wie die Kulturhauptstadt in einzelnen Gemeinden „angekommen” ist:

Weit an der Spitze liegt Essen mit 250.
Dahinter liegen u. a. folgende Städte: Bochum (64), Dortmund (57), Mülheim (39), Gelsenkirchen (36), Duisburg (24), Oberhausen und Berlin (je 23), Köln (21), Unna (10), Witten und Hamburg (je 8), Hagen (6), Schwerte und Ennepetal (je 3), Lünen (2). Jeweils ein Vorschlag kam aus Castrop-Rauxel, Schwelm und Gevelsberg.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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