Wunder mit Widerhaken – F. C. Delius‘ Roman zur Erfindung des Computers

US-Amerikaner rühmen sich der Erfindung des Computers, doch irgendwann haben sie anerkannt, dass einst ein Deutscher die kreative Vorhut bildete: Konrad Zuse (1910-1995).

Stoff genug für Phantasien mit realistischer Sättigungsbeilage. Jetzt liegt ein Roman über Zuses Leben vor – verfasst vom vielfach bewährten Friedrich Christian Delius, der etwa auch schon das fußballerische „Wunder von Bern“ zum literarischen Spielfeld erkoren hat („Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“, 1994).

Der Titel des neuen Buches klingt artverwandt und beschwört ebenfalls „Wunder“ herauf: „Die Frau, für die ich den Computer erfand“ geht von der Fiktion aus, dass eben jener Konrad Zuse anno 1994 einen öden Braunschweiger Festakt zu seinen Ehren „schwänzt“ und statt dessen einem Journalisten zwölf Stunden lang (!) Bekenntnisse auf Band spricht, die erst posthum publiziert werden sollen. Schon die exorbitante Länge riecht nach Protest gegen den heute vielfach üblichen Häppchen-Journalismus.

Das denkwürdige Treffen begibt sich sozusagen in der mittleren Mitte Deutschlands – im hessischen Rhön-Kreis Hünfeld, zu Zeiten des geteilten Landes ein Grenzgelände des Kalten Krieges, auf dem West und Ost einander kriegsbereit belauerten (Stichworte: „Fulda Gap“, „Point Alpha“ bei Geisa). In dieser Gegend hat der gebürtige Berliner Zuse nach dem Zweiten Weltkrieg gelebt.

Der Romantext besteht – bis auf einen einzigen Satz – ausnahmslos aus den auf Band aufgezeichneten Passagen. Die Sprache liest sich dementsprechend lebendig und spontan, sie hört sich nicht „nach Papier“ an. Gut vorstellbar, dass auch Delius seinen Text zur Probe auf Band gesprochen hat. Aufgeteilt ist das Ganze in knappe Kapitel, was die einladende Lektürefreundlichkeit noch steigert. Man kann das Buch also recht glatt und zügig „weglesen“; eine Feststellung, die nicht etwa als vergiftetes Lob verstanden werden möge. Denn das Widerspenstige und die Widerhaken gegen oberflächlich flotten Zeitgeist und digitale Idiotie stecken im (vordergründig kulinarisch dargebotenen) Inhalt.

Zentrale, doch ungreifbare Gestalt ist eine gewisse Ada Lovelace (1815-1852), Tochter des romantischen Dichters Lord Byron und dazumal rares weibliches Genie der Mathematik, die bei Leibniz’ binärem Zahlensystem angeknüpft hat. Man sagt ihr nach, sie habe bereits die allererste Programmiersprache skizziert. Zuse stößt in den 1930er Jahren in einem Buch auf die jung verstorbene Britin und verliebt sich in sie – sozusagen im Überschwang eines erfinderischen Eros über Generationen hinweg. Jahrzehnte bleibt er ihr insgeheim treu, und sie beflügelt ihn, ja sie scheint ihn durch prekäre Situationen zu geleiten wie ein Engel.

Wunder über Wunder allein schon, wie es Zuse gelingt, die ersten Apparate in Berlin-Kreuzberg unter widrigsten Umständen zu bauen und dass er später seine Erfindung (eine monströse, aber schließlich wie geölt funktionierende Maschine mit dem Hilfsnamen „A 4“ bzw. „Z 4“) durch die kriegerischen Wirren nach Bayern rettet. Der erste Prototyp „A 1“ war 1938 noch ein mechanisch ratterndes Ungetüm gewesen, das notgedrungen aus lauter Ersatzmaterialien bestanden hatte.

Der erfahrene Schriftsteller Delius spielt in der offenbar gründlich recherchierten, jedoch mit erfinderischer Lust angereicherten Geschichte allerlei Themen und Motive durch, durchweg stilsicher, stellenweise kunstvoll, ja virtuos: Da geht es vorderhand um mögliche Verfehlungen und die Verantwortung des Ingenieurs im „Dritten Reich“. Sehr differenziert kommt hier Zuses spezielle Form des freimütig eingestandenen Mitläufertums zur Sprache. Er hat auch bei Berechnungen mitgeholfen, um deutsche Fliegerbomben zu optimieren. Hätte er sich weigern können? Hätte er dann noch weiter an seinen programmierbaren Maschinen arbeiten können?

Besessen und getrieben von seiner eigentlichen Aufgabe, an der er in 80-Stunden-Wochen gearbeitet hat, hat sich dieser Mann durch alle Fährnisse laviert. Der Roman scheint den Schluss nahezulegen, dass Zuse dabei wahrscheinlich anständiger geblieben ist als der allseits dienliche Raketenpionier Wernher von Braun. Ein irritierendes Flimmern ergibt sich freilich aus der (natürlich vom Autor Delius arrangierten) subjektiven Rede, die ja immerhin schönfärberisch und selbstgerecht sein könnte. Doch der uneitle Tonfall spricht wiederum gegen solchen Verdacht.

Ein weiterer Themenstrang ist die unaufhörliche Rivalität zwischen Künsten und Geisteswissenschaften sowie Mathematik, Natur- und Ingenieurswissenschaften. Zuse erscheint nicht als zorniger, doch als schroffer und schräger alter Mann, der sich aus den bislang lebenslang durchstreiften Gefilden der Logik endlich ins befreite Phantasieren hinein bewegt und nun frei von der Leber weg reden kann: „…die Zukunft gehört der Kunst. Ohne Kunst ist das Leben ein Irrtum…“, sagt er mit Anklang an Nietzsche.

Vor allem aber zitiert Zuse immer wieder aus Goethes „Faust“, vielleicht auf der Suche nach dem Faustischen und Mephistophelischen schlechthin. Doch er hat’s stets ein paar Nummern kleiner und damit menschlicher. Ada statt Mephisto, so lautet die Formel. Bei aller Knorrigkeit und Sperrigkeit und trotz opportunistischer Anwandlungen begegnet uns in Konrad Zuse, so wie Delius ihn darstellt, eine vorwiegend sympathische Figur, die durch Schattierungen und Schraffuren genauer, wahrhaftiger wird.

Nicht ungern sieht dieser Zuse sich endlich als Erfinder gewürdigt, doch sind ihm eitle Allüren fremd. Ihm geht es schlichtweg um die Richtigkeit der Sache. Dass die Amerikaner ihn (nicht zuletzt mit gezielt eingesetzter Dollar-Power) in den 1960er Jahren rasant überholt haben, das hat ihn geschmerzt, doch irgendwann hat er auch das verwunden. Man stelle sich mit F. C. Delius vor, was da hätte entstehen können: Ein weltweit führendes „Silicon Valley“ rund um Fulda und Hünfeld – das wäre doch auch zu irrwitzig gewesen, oder?

Friedrich Christian Delius: „Die Frau, für die ich den Computer erfand“. Roman. Verlag Rowohlt Berlin. 284 Seiten. 19,90 €.