„Payback“: Das Leben besteht aus Schuld und Schulden – Margaret Atwood denkt über Tage der Abrechnung nach

Auf den ersten Blick scheint es ein Buch der Stunde zu sein. Unter dem Titel „Payback” (Rückzahlung) befasst sich die weltweit prominente kanadische Autorin Margaret Atwood mit Krediten, Zinswucher, Schuldnern und Gläubigern. Erste Ausläufer der jetzigen Wirtschaftskrise spielen schon mit hinein.

Doch Atwood bedient offenkundig keine kurzatmige Aktualität, sondern bereitet ihr Thema gründlich auf. Sie beginnt nicht etwa erst bei Adam und Eva, sondern setzt viel früher an: in den unvordenklichen Urzeiten der Evolution, in denen unser genetisches Erbe entstanden ist.

Daraus erwächst eine Kernthese. Die Idee eines gerechten Gleichgewichts zwischen Schuld(en) und Abzahlung sei tief in uns eingesenkt, sie habe sich – in wechselnden Formen – durch alle Epochen und Kulturen erhalten. Sprich: Wir ernten irgendwann, was wir gesät haben, jedes Soll und Haben wird im „großen Buch” verzeichnet und eines Tages abgerechnet.

Lektionen reichen
von der Urzeit
bis zur Börsenkrise

Atwood durchpflügt ganze Bereiche der Weltgeschichte, um praktisch immer und überall auf „Schulden” jeder Sorte als treibende Kraft zu stoßen; ganz so, als ließe sich die Welt aus diesem einzigen Beweggrund heraus erklären. Eigentlich keinWunder, denn natürlich findet Atwood überall das, was sie so innig gesucht hat. Immerhin hat sie einige sarkastische, lakonisch schnoddrige Wendungen parat („Raub und Plünderung sind ja schön und gut, aber . . .”), die mit gelegentlich angestrengter Lehrhaftigkeit versöhnen.

Da wird beispielsweise der tiefere Zusammenhang zwischen Geldschulden und Sündenschuld erwogen. Auch kommen Schuldknechtschaft, altertümliche Figuren wie der „Sündenesser” (der eine Schuld für eine Gegenleistung tilgt), Opfer und Blutrache in den weitschweifigen Blick. Ein Fazit: Im Leben bleibt man fast immer etwas schuldig.

Der Faustische Pakt mit dem Teufel (auch da droht der Tag der Abrechnung) wird ebenso ausgiebig erläutert wie die Dickens-Figur des kaltherzigen Geizhalses Ebenezer Scrooge, der zur Weihnachtszeit geläutert wird und mit seinen angehäuften Reichtümern fortan nur noch Gutes bewirkt. Auch Shakespeares Schulden-Klassiker „Der Kaufmann von Venedig” wird traktiert. Atwood buchstabiert all diese Fundstellen bisweilen etwas langwierig.

Immerhin: Man lernt dazu, man lernt nicht aus, auch gibt es manchen Geistesblitz. Doch auf Dauer kommen einem die Lektionen doch etwas umständlich vor. Auch das heutige, sich nüchtern gebende Wirtschaftsleben, so ahnt man jedenfalls, ist im Grunde von alten Mythen durchwirkt. Doch manches, was Atwood auftischt, wirkt wie aus dem Hut gezaubert.

Die Schrift, so erfahren wir, sei vor allem erfunden worden, um Schulden zu notieren, nicht etwa für poetische Ergießungen. Keine große Überraschung. Ein paar Seiten später sind wir plötzlich wieder bei weit überzogenen Kreditlinien und der in dieser Hinsicht bis dato so laxen US-Mentalität. So rollt das Ganze etwas ziellos vor sich hin.

Man hegt Hoffnung, dass am Ende eine literarisch unterfütterte Schulden-Theorie mit Nutzanwendung in der heutigen Krise stehen möge. Doch diese Hoffnung wird einigermaßen enttäuscht. Statt dessen wird der geizige Scrooge auf heutige GmbH-Verhältnisse getrimmt und (wie das Original) von Geistwesen auf lehrreiche Zeitreise mitgenommen. Doch hier soll er im finalen, globalen Schnelldurchgang sinngemäß lernen, dass man Geld nicht essen kann und dass wir die Erde von unseren Kindern nur geborgt haben. Klingt ausgelutscht? Wohl wahr! Tatsächlich läuft hier schließlich alles auf herzlich gut gemeinte Öko-Appelle hinaus. Nun ja.

Warum für diese Zeigefinger-Prosa gleich fünf (!) Übersetzerinnen ‚ran mussten, ist unerfindlich. War es etwa eine Gruppenübung im Rahmen eines Förderprogramms?

Margaret Atwood: „Payback. Schulden und die Schattenseiten des Wohlstands.” Berlin Verlag. 265 S., 18 €.