Wilhelm Busch: Lustvolle Zerstörung der Idylle

Gleich hinterm Eingang blickt der Besucher in einen Zerrspiegel. So sieht man sich nicht gern. Doch im Schloss Oberhausen geht’s ja auch um einen Verzerrer der sichtbaren Wirklichkeit: Wilhelm Busch, Urahn vieler späterer Comic- und Cartoon-Künstler.

Der Schöpfer von „Max und Moritz”, „Hans Huckebein” und zahlloser weiterer Bildergeschichten hat klassisches Rüstzeug an Kunstakademien erworben. Wenn er will, kann er etwa im Stile der alten Holländer malen. Doch schon beim anfänglichen Maschinenbau-Studium karikiert er seine Dozenten. Schalkhafte Blätter aus Kollegheften zeugen davon.

Die Ausstellung „Herzenspein und Nasenschmerz” stellt Wilhelm Buschs Werke in Zusammenhänge mit Vorläufern und Nachfahren. Karikierende Tendenzen gab es z. B. schon bei Francisco Goya (Verzerrung durch Schmerz), beim Franzosen Grandville oder beim Engländer William Hogarth, der mit Vorliebe die Folgen von Alkohol und Hurerei drastisch darstellte – moralische Appelle wider den Verfall der Sitten.

Vorbilder waren also da. Kennzeichen: entlarvende Übertreibung typischer Wesensmerkmale, eine vordem ungeahnte Dynamik, gewollt schräge Perspektiven, Mut zum Hässlichen. Bald begnügte man sich nicht mehr mit Einzelbildern, sondern zeichnete Handlungsabläufe.

An solche Traditionen kann Wilhelm Busch anknüpfen. Fotografien oder auch Franz von Lenbachs gemaltes Busch-Porträt zeigen einen selbstgewissen Mann, der sich für den Markt zu inszenieren weiß. Allerdings ist er auch Pessimist und traut keinem bürgerlichen Frieden. Häufig die Szenen, in denen er eine (romantische oder biedermeierliche) Idylle gründlich zerstört.

Theater der Grausamkeit, Schauplatz niederer Instinkte: Wie allerlei Körperteile malträtiert werden, führt Busch mit detailfreudiger Lust am Schaden aus. Dabei spielt er das verfügbare Bildvokabular virtuos durch, erweitert es wohl auch, so etwa mit rasanten Wechseln zwischen Totale und Nahansicht, die bereits Bildstrategien des Kinos vorwegnehmen. Die Original-Zeichnungen lassen einen scharfen, harten Strich erkennen. Man spürt noch, wie Erregung und Aggression darin nachzittern.

Busch ist so populär, dass auch andere Künstler ihn zur Kenntnis nehmen müssen. Diese Einfluss-Linien will die Oberhausener Schau sichtbar machen. Einige Beispiele sollen Wilhelm Buschs Fernwirkung bis hin zum frühen US-Comic belegen. Die Serien entstehen anfangs vielfach mit Blick auf deutsche Einwanderer in den Staaten. Der deutschstämmige Rudolph Dirks erfindet die „Katzenjammer Kids” (publiziert ab 1897), Winsor McCay „Little Nemo in Slumberland” (ab 1905) und Lyonel Feininger die „Kin-der Kids” (1906). Seitenblicke gelten den Disney-Figuren Mickey Mouse und Donald Duck. Auch für sie, so die These, habe Busch das Terrain bereitet. In welcher genauen Hinsicht Busch sie alle inspiriert hat, das wäre reichlich Stoff für Doktorarbeiten. Bemerkenswert jedenfalls, dass August Macke Busch den „ersten Futuristen” nennt.

In Richtung Gegenwart franst die vom Hannoveraner Busch-Museum bestückte Ausstellung etwas aus. Politisierende Karikaturen, Comics und Cartoons von Tomi Ungerer bis F. K. Waechter, von Paul Flora bis Tullio Pericoli lassen just viele Verzweigungen ahnen. Aber man kann Wilhelm Busch nicht jede Vaterschaft andichten.

„Herzenspein und Nasenschmerz. Wilhelm Busch und die Folgen”. Schloss Oberhausen. Konrad-Adenauer-Allee 46. Bis 24. Feb. 2008. Di-So 10-18 Uhr. Katalog 28 €.

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ZUM LEBENSLAUF:

  • Wilhelm Busch wurde am 15. 4. 1832 in Wiedensahl bei Hannover geboren.
  • 1847-51 Maschinenbau-Studium in Hannover.
  • Kunstakademien: 1851 Düsseldorf, 1852 Antwerpen, 1854 München.
  • Ab 1858 Mitarbeit an den „Fliegenden Blättern”.
  • 1865 erscheint „Max und Moritz”, 1867 „Hans Huckebein”, 1872 „Die fromme Helene”, 1879 „Fipps der Affe”, 1883 „Balduin Bählamm”.
  • Nach 1884 liefert Busch keine Bildergeschichten mehr, sondern verlegt sich ganz auf Malerei. Das aktive künstlerische Schaffen reicht bis etwa 1895.
  • Tod am 9. Januar 1908 in Mechtshausen/Harz.