Gastbeitrag: „Warum der Museumsbau am Ostwall nicht abgerissen werden darf“

Dem Gebäude, das früher das Dortmunder Museum am Ostwall beherbergt hat, droht der Abriss. Unsere Gastautorin Sabine Schwalbert hat für den Erhalt des Baus eine Online-Petition gestartet, die bis zum Schlusstag (18. September 2013) von 5115 Menschen unterzeichnet wurde und – zusammen mit weiteren Unterschriften – dem Rat der Stadt Dortmund übergeben werden soll. Hier erklärt sie, was sie zu der Petition und zum weiteren Engagement bewogen hat:

Dortmund im Jahr 1947: Die Innenstadt ist nach dem Zweiten Weltkrieg zu mehr als 90 Prozent zerstört. Experten erwägen zunächst, Dortmund an einem anderen Ort komplett neu aufzubauen. Nach einem äußerst harten und kalten Winter 1946/47, der viele Todesopfer forderte, fehlt es nicht nur an Geld, Bau- und Heizmaterial, sondern auch an Lebensmitteln und Kleidung. Tausende Menschen hausen in Notunterkünften oder sind bei Verwandten einquartiert.

Blick aufs Museumsgebäude am Ostwall (Foto: Bernd Berke)

Blick aufs Museumsgebäude am Ostwall (Foto: Bernd Berke)

In dieser prekären Gesamtsituation beschließt der Rat der Stadt, das im Krieg beschädigte Museum am Ostwall wieder aufzubauen. In den folgenden Jahren wird der Bau sukzessive hergerichtet. Als eines der ersten Museen in der jungen Bundesrepublik zeigt das Museum, das konsequent das Konzept der „Weißen Wand“ verfolgt, in seinen ersten Ausstellungen sogenannte „Entartete Kunst“ – Kunstwerke, die in der Nazizeit verboten und nicht zu sehen waren. Es war ein Signal für den Aufbruch in eine neue, demokratische Gesellschaft, in eine neue Zeit.

All das wusste ich nicht, als ich das Museum am Ostwall für mich entdeckte. Ich weiß auch nicht mehr genau, wann ich das erste Mal dort war. Es ging mir aber ähnlich wie Benjamin Reding, in Dortmund aufgewachsener Filmregisseur: „In meiner Kindheit und Jugend war das Museum am Ostwall für mich so etwas wie eine blühende Insel der Kultur im aschgrauen Asphalt des Ruhrgebiets der Siebziger. Das stille Haus mit dem wundervollen Garten, seinem großzügigen Lichthof, den Kieselböden, der Gabel-Plastik von Wolf Vostell und den mechanischen Zähneputzern hat mich tief beeindruckt…“

Hier konnte man Fluxus-Kunst kennen lernen, ohne vorher zu wissen, was das überhaupt ist. In den 80er und 90er Jahren, wurde ich zum Stammgast in diesem schlichten Haus, das den Besucher so ohne großes Brimborium einfach einlud und einließ. Nach ein paar Schritten stand man mitten im Lichthof und war von Kunst umgeben. Es gab viele, nicht immer hochklassige, aber immer interessante Ausstellungen, in der Bibliothek habe ich oft gesessen und Designzeitschriften durchgeblättert, die ich mir damals als Studentin nicht leisten konnte.

Später verlor ich ein wenig den Kontakt zum Haus. Nach dem Umzug der Sammlung in das umgebaute „Dortmunder U“ war ich sicher, dass sich eine neue Verwendung für das alte Haus finden würde. Denn dieses Haus ist einfach ein Stück Dortmund, fest verwurzelt in dieser Stadt, von außen bodenständig, aber mit immensen inneren Werten. Und es tritt hinter den Werken, die es präsentiert, mit seiner schlichten und doch eindrucksvollen Architektur immer zurück.

Viele Dortmunder meiner Generation haben noch die unrühmliche Geschichte der alten denkmalgeschützten Bibliothek deutlich vor Augen: Nach dem Abriss wegen Asbestbelastung hatten wir jahrelang mitten in der Stadt eine Brachfläche, jetzt steht dort ein mehr oder minder gesichtsloses Kaufhaus. Sollte sich diese Geschichte mit dem Abriss des alten Museums wiederholen?

„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“ Diesen Ausspruch von Hanns-Joachim Friedrichs haben wohl alle verinnerlicht, die journalistisch unterwegs sind, aber: Sind nicht auch wir Journalisten Bürger, die politische Entscheidungen grundfalsch finden können? Und wer, wenn nicht wir und andere Kulturschaffende, sollte auf solche Fehlentscheidungen hinweisen? Ich habe die journalistische Leitlinie von Hanns-Joachim Friedrichs letztendlich gebrochen und habe klar Stellung bezogen. Reißen wir dieses Haus ab, treten wir die Arbeit der Wiederaufbaugeneration mit Füßen und verlieren obendrein ein wertvolles Haus zu Gunsten von wahrscheinlich architektonisch durchschnittlichen Wohn- oder Büroflächen.

Mich in dieser Sache einzumischen, eine Petition gegen den Abriss zu starten und mich auch weiterhin zu engagieren war eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. 5115 Menschen – nicht nur aus Dortmund – haben unterschrieben. Doch mit der erfolgreichen Petition allein ist es leider noch nicht getan.

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Hintergrund

Bericht vom November 2012 in den Revierpassagen
Bericht vom Mai 2013 in www.derwesten.de