Willy Brandt: Größer als ein übliches Porträt

Willy Brandts legendärer Kniefall in Warschau am 7. Dezember 1970. (© WDR/Interfoto)

Willy Brandts legendärer Kniefall in Warschau am 7. Dezember 1970. (© WDR/Interfoto)

Eigentlich waren auch 95 Minuten Sendezeit viel zu kurz, um einen Stoff wie „Willy Brandt: Erinnerungen an ein Politikerleben“ (arte) auch nur annähernd zu fassen. Einer wie er sprengt den Rahmen der üblichen Porträts.

Vor allem politische Freunde und journalistische Weggefährten äußerten sich über den großen Sozialdemokraten, der am 18. Dezember 100 Jahre alt werden würde. Es war eine Würdigung ohne Misstöne. Das fiel kein böses Wort über den Porträtierten. Und tatsächlich: Was hat dieser Mann nicht alles erreicht! Und wie sehr fehlen uns heute Politiker von solchem Charisma, von solchem Schrot und Korn. Vor allem die klugen Einschätzungen des langjährigen Brandt-Mitarbeiters Egon Bahr brachten einem die menschliche Seite dieser historischen Gestalt näher.

Wenig originelle Form

Die Machart solcher Porträts ist leider immer ziemlich ähnlich. Da wird von mehr oder minder berufenen Zeitzeugen enorm viel geredet, während die ins Unscharfe geblendeten Hintergrundbilder stets ausgesucht idyllisch (vorzugsweise mit Büchern, Bäumen und Blumen) arrangiert werden. Da würde man sich gelegentlich originelle und mutigere Formen der Darstellung wünschen. Immerhin hatte André Schäfer („Lenin kam nur bis Lüdenscheid“) für seinen Beitrag teilweise rare und aussagekräftige Filmausschnitte aus den Archiven ans Licht geholt.

Von der Schulzeit in Lübeck und der norwegische Emigration reichte der ungeheuer weite Bogen über die Amtszeiten des „Deutschen Kennedy“ als Regierender Bürgermeister von Berlin, als Außenminister (ab 1966) und Bundeskanzler (1969-1974). Dazwischen noch so legendäre Ereignisse wie die Ostverträge, der Kniefall von Warschau und die Guillaume-Affäre. Sehr anrührend war es schließlich zu sehen, wie Brandt den Fall der Berliner Mauer und die deutsch-deutsche Grenzöffnung noch erlebte – ein Ziel, für das er all die Jahre hartnäckig gestritten hatte. Da wehte wirklich der Atem der Geschichte.

Depressionen und Intrigen

Deutlich wurde auch, wie sehr der Politikbetrieb schon damals einen Mann zermürben konnte. Brandts ohnehin vorhandene Neigung zur Depression wurde zunächst von Adenauer (der sich infam über Brandts Namenswechsel und die Emigration empörte) und später vom intriganten „Partei-Freund“ Herbert Wehner gesteigert. Da kann man noch im Nachhinein zornig werden.

Manchmal heißt es ja recht allgemein, der heutigen Politik fehlten überhaupt solche Typen. Doch da gibt es wahrlich Unterschiede. Einem Apparatschik wie Wehner muss man nicht viele Tränen nachweinen, einem beseelten Gestalter wie Willy Brandt schon. Über den jetzigen Zustand der SPD wollen wir in diesem Zusammenhang lieber nicht sprechen.

„Unvollendete Kanzlerschaft“

Vieles konnte nur angerissen werden, dennoch schälten sich zwischendurch immer wieder ein paar schlaglichtartige, prägnante Befunde heraus. Brandt war offenbar einer, der auch nach grandiosen politischen Siegen nie den Triumphator herauskehrte. Fast im Gegenteil: Gerade in solchen Momente konnte er überaus nachdenklich und wie versteinert wirken.

Brandts einstiger Redenschreiber Klaus Harpprecht sprach von einer „Unvollendeten Kanzlerschaft“. Hätte Brandt trotz Guillaume einfach weitermachen sollen? Hätte damals eigentlich FDP-Innenminister Genscher zurücktreten müssen, wie es im Film hieß? Auch darüber gibt es weitaus mehr als eine Meinung.

Übrigens: Wer noch etliches mehr über Willy Brandt wissen will, sollte sich (neben der Lektüre einschlägiger Bücher) für den 13. Dezember im WDR-Fernsehen „Die lange Willy Brandt Nacht“ vormerken. Ab 23.15 Uhr dauert sie über sechs Stunden. Ein typischer Fall für den Recorder.