„Anständige Musik und ein sauberes Gewissen“: Vor 50 Jahren starb Paul Hindemith

Paul Hindemith im Jahr 1927. Foto: Schott Music

Paul Hindemith im Jahr 1927. Foto: Schott Music

Er ist nach wie vor der am häufigsten aufgeführte Komponist der Moderne. Sein Werk ist von beispielloser Vielfalt, reicht von der großen Oper über Kammermusik für unterschiedlichste Besetzungen bis hin zur Kantate, zur Parodie, zur Musik für Laien. Die musikalische Welt begeht am 28. Dezember seinen 50. Todestag: 1963 starb Paul Hindemith im Frankfurter Marienhospital an Schlaganfällen in der Folge einer Bauchspeicheldrüsen-Entzündung.

Paul Hindemiths Biografie stellt uns einen schöpferischen Menschen vor, der von den äußeren Verwerfungen seiner Lebenszeit massiv getroffen, aber nicht aus der Bahn geworfen wurde. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen, große Erfolge als Bratscher und Komponist in den zwanziger Jahren, Aufführungsverbot in der Nazizeit, Übersiedlung in die Schweiz und Emigration in die USA, schließlich Rückkehr nach Europa nach dem Krieg und eine späte Karriere als Dirigent: Hindemith hat die Zeitläufte mit viel Glück überstanden, ohne sich zu verbiegen. „Es gibt nur zwei Dinge, die anzustreben sind: Anständige Musik und ein sauberes Gewissen“, schrieb er 1938, wenige Monate nach der Uraufführung seiner Oper „Mathis der Maler“ in Zürich.

Die Musik scheint der entscheidende Halt für den Menschen Paul Hindemith gewesen zu sein, so die persönliche Einschätzung von Susanne Schaal-Gotthardt, Direktorin des Hindemith-Instituts in Frankfurt. Sie betreut eine kleine Dauerausstellung zu Leben und Werk des Komponisten im Frankfurter Kuhhirtenturm. Der spätmittelalterliche Bau im Stadtteil Sachsenhausen, einst Teil der Stadtbefestigung des 14. Jahrhunderts, diente von 1923 bis 1927 den Hindemiths als Wohnung: Unter dem Dach lebten der Komponist und seine Frau Gertrud, in den Räumen darunter die Mutter und die Schwester. Die beiden Frauen bewohnten den Turm weiter, als Hindemith 1927 an die Berliner Hochschule für Musik berufen wurde. Sie verließen ihn erst 1943: Bei einem Bombenangriff wurde der Bau schwer beschädigt; dabei verbrannten auch etliche Manuskripte.

Der Kuhhirtenturm in Frankfurt, von 1923 bis 1927 Wohnung Paul Hindemiths, beherbergt heute eine Ausstellung zu Leben und Werk des Komponisten. Foto: Werner Häußner

Der Kuhhirtenturm in Frankfurt, von 1923 bis 1927 Wohnung Paul Hindemiths, beherbergt heute eine Ausstellung zu Leben und Werk des Komponisten. Foto: Werner Häußner

Schon von seinem Vater, einem glücklosen Handwerker, wurde Paul Hindemith „mit colossal strengem Drill“ an die Musik herangeführt. Die Ausstellung im Kuhhirtenturm zeichnet mit Fotos und Manuskript-Reproduktionen aus den Beständen des Hindemith-Instituts die frühen Jahre nach: Hindemiths Ausbildung am renommierten Konservatorium von Dr. Hoch, sein Kriegsjahr 1917/18 als Trommler in einer Regimentsmusik im Elsass. Den ersten Kompositionsabend 1919, der Hindemith einen Vertrag mit dem Verlagshaus B. Schott’s Söhne einbringt. Und den ersten Schritt zur Berühmtheit, als 1921 in Donaueschingen sein Streichquartett Opus 16 aufgeführt wurde. Dass sich Hindemith ab 1922 intensiv für „Alte Musik“ interessierte, wird in der Ausstellung verdeutlicht durch eine Viola d’amore. Hindemith ließ sie für sich anfertigen. Die Schnecke ziert ein geschnitzter Frauenkopf: das Porträt seiner Gemahlin Gertrud.

Der Berliner Zeit ab 1927 ist ein eigener Raum gewidmet. Hindemith galt seit der spektakulären Uraufführung seiner drei Einakter „Mörder, Hoffnung der Frauen“ und „Das Nusch-Nuschi“ 1921 in Stuttgart – 1922 ergänzt durch die als blasphemisch bekämpfte „Sancta Susanna“ in Frankfurt – als Repräsentant der Avantgarde und „revolutionärer Bilderstürmer“. In Berlin entfaltete er nicht nur eine fruchtbare pädagogische Arbeit, die ihn übrigens ein Leben lang interessiert hat – seine Sing- und Spielmusiken für Kinder und Laien zeugen davon. Er gewann Gottfried Benn für ein Oratorium („Das Unaufhörliche“) und entfaltete eine rege Konzerttätigkeit. 1929 entstand die Zeitoper „Neues vom Tage“, eine Mischung aus skurriler Komik und surrealer Revue. Sie wurde in der letzten Spielzeit am Theater Münster gezeigt und war ab 1996 auch an der Oper Köln in einer gelungenen Inszenierung Günter Krämers zu sehen.

Bis 1929 reiste er mit dem Amar-Quartett, das sich der Verbreitung moderner Musik verschrieben hatte. Der Dirigent Otto Klemperer erinnerte sich später an Hindemiths Musik: „Frische Luft und kein Pathos mehr…“. Auch mit anderen Größen der damals modernen Musik arbeitete Hindemith zusammen: mit Hermann Scherchen etwa, später auch mit Wilhelm Furtwängler, der 1932 das von ihm bestellte „Philharmonische Konzert“ dirigierte und sich nach den ersten Repressalien durch die Nationalsozialisten vehement für Hindemith einsetzen sollte.

Paul Hindemith war ein bedeutender Solist und hat eine Reihe von Werken für sein Instrument, die Bratsche, geschrieben. Foto: Schott Music

Paul Hindemith war ein bedeutender Solist und hat eine Reihe von Werken für sein Instrument, die Bratsche, geschrieben. Foto: Schott Music

Die Ausstellung dokumentiert, wie schon 1933 Hindemiths Konzerttätigkeit rapide zurückging. Susanne Schaal-Gotthardt sieht in seinen Kompositionen die Spuren dieser Zeit: im „Trauermarsch“ der ersten Klaviersonate, oder in der Hölderlin-Vertonung „Der Main“, in der die Verunsicherung in der Figur des heimatlosen Sängers greifbar wird. Lapidar vermerkt ein – als Reproduktion sichtbarer – Eintrag in Hindemiths Kalender unter dem Dienstag, 16. August 1938: „Letzter Tag Berlin!“

Hindemith hatte sich bereits 1935 von der Hochschule für Musik beurlauben lassen. Er nahm den Auftrag der türkischen Regierung an, das Musikleben im Land zu organisieren – sicher auch, um dem wachsenden Druck in Deutschland zu entgehen. Während die Ausstellung „Entartete Musik“ in Düsseldorf Paul Hindemith und sein Werk anprangert, feiert Zürich seine neuen Oper „Mathis der Maler“. Im Herbst 1938 bezieht das Ehepaar ein Häuschen in Bluche im Schweizer Kanton Wallis.

Hindemith erhielt Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen

Für den Komponisten sei der Umzug in das Bauerndorf „wie eine Befreiung“ gewesen, schätzt Susanne Schaal-Gotthardt. Eine Reihe von Werken entsteht dort, so das bedeutende Violinkonzert und mehrere Sonaten und Lieder. Worauf sich Hindemith früher nie eingelassen hätte, erzwingen die Verhältnisse. 1940 emigriert er in die ungeliebten Vereinigten Staaten und nimmt eine Professur an der Yale University an. Später sollte er die Rolle der USA und die Zuflucht, die er dort gefunden hatte, hoch anerkennen.

Trotz der angenommenen amerikanischen Staatsbürgerschaft und beachtlicher Erfolge in der Neuen Welt zieht ihn die Sehnsucht zurück nach Europa: 1951 nimmt er eine Professur an der Universität Zürich an und übersiedelt nach Blonay am Nordostufer des Genfer Sees. Seine letzten Werke entstehen dort, so die bis heute unterschätzte Kepler-Oper „Die Harmonie der Welt“. 1958 wird sein Oktett in Berlin uraufgeführt; Paul Hindemith sitzt noch einmal an der Bratsche, obwohl er das öffentliche Spielen schon seit fast zwanzig Jahren aufgegeben hatte. Der Komponist erhält den Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen.

Nach seiner Rückkehr aus den USA entfaltete Hindemith eine rege Tätigkeit als Dirigent. Zuvor hat er nur selten den Stab in die Hand genommen, unter anderem in den zwanziger Jahren in Bochum. Die Aufnahme zeigt ihn bei seinem letzten Konzert im Konzerthaus Wien am 10. November 1963. Hindemith litt bereits an seiner tödlich verlaufenden Krankheit. Foto: Fondation Hindemith Blonay CH

Nach seiner Rückkehr aus den USA entfaltete Hindemith eine rege Tätigkeit als Dirigent. Zuvor hat er nur selten den Stab in die Hand genommen, unter anderem in den zwanziger Jahren in Bochum. Die Aufnahme zeigt ihn bei seinem letzten Konzert im Konzerthaus Wien am 10. November 1963. Hindemith litt bereits an seiner tödlich verlaufenden Krankheit. Foto: Fondation Hindemith Blonay CH

Die Ausstellung im Frankfurter Kuhhirtenturm zeigt auch den Humor und die liebenswerten menschlichen Seiten des Komponisten: Seine Liebe zur Modelleisenbahn etwa, seinen Ordnungstrieb oder sein zeichnerisches Talent. Immer wieder stellte er seine Frau als „Löwe“ dar, dem Sternzeichen, in dem sie geboren war. So auch auf der letzten, selbst gezeichneten Glückwunschkarte zum Jahreswechsel 1963/64. Sie spielt auf das 1962 vollendete Orgelkonzert an: Hindemith traktiert die Orgel, ein Löwe tritt den Blasebalg.

Das Hindemith-Kabinett im Kuhhirtenturm, Große Rittergasse 118, 60594 Frankfurt, ist sonntags von 11 bis 18 Uhr oder nach Vereinbarung geöffnet. Tel.: (069) 59 70 362. Zurzeit ist dort eine Sonderausstellung über Hindemiths Dirigenten zu sehen.

Eine Ausstellung „Begegnung mit Paul Hindemith“ mit vielen Fotos und Dokumenten zeigt die Frankfurter Sparkasse noch bis 22. Januar 2014 in der Galerie in ihrem Kundenzentrum, Neue Mainzer Straße 49, 60311 Frankfurt. Sie ist Montag bis Mittwoch und Freitag von 9 bis 16 Uhr, Donnerstag bis 18 Uhr geöffnet.