Lichtvoll und leicht: Tomáš Netopil dirigiert Brahms in der Essener Philharmonie

Auf Mahler folgt Brahms: Zum zweiten Mal in dieser Spielzeit nähert sich Tomáš Netopil dem klassischen deutschen Repertoire des 19. Jahrhunderts: mit der beliebten „Zweiten“ des in Hamburg geborenen Wieners.

Diesmal vermittelte sich der Eindruck, als habe sich der neue Generalmusikdirektor mit der Akustik des Alfried Krupp Saales erfolgreich angefreundet. Netopil erschloss Brahms’ Zweite aus dem Geist heiteren lyrischen Schwebens, tilgte den „Trauerrand“, den der Komponist in schalkhaften Ankündigungen an seine Freunde um das Werk gezogen hatte. Überspitzt gesagt: Das Werk hätte auch am sonnigen Moldauufer statt am Wörthersee geschrieben sein können.

Tomás Netopil, der neue Chefdirigent der Essener Philharmoniker. Foto: TUP

Tomás Netopil, der neue Chefdirigent der Essener Philharmoniker. Foto: TUP

Ein solches Konzept lichtvoller Leichtigkeit kommt den Philharmonikern gerade recht: Sie können ihre Erfahrung im achtsamen Austarieren klanglicher Balancen, im Aushören kultivierter Piani, im Ausspielen erlesener Legati lustvoll einbringen. Ein „ben marcato“ wird bei ihnen nicht zum teutonischen Dröhnen; der energisch-lebhafte vierte Satz tobt sich nicht aus, sondern bleibt geistvoll gezügelt, auch in der leuchtenden Steigerung der Dynamik.

So führt Netopil die Stimmung genau in die Richtung, die schon die Uraufführungs-Kritiken lobten: Heiterkeit und Lebensfreude. Dem entspricht die Holzbläseridylle des dritten Satzes und die lyrische Selbstbespiegelung des zweiten: Selbst der Blick der Posaunen zurück auf den ersten Satz trübt das ruhevolle Licht nicht. Die Instrumentierung mit tiefen Streichern und Bläsern könnte auch anders gelesen werden – aber Netopil will sich die gelöste Atmosphäre nicht verdüstern lassen.

Auch den ersten Satz versteht der Dirigent offenbar ganz aus dem Geist des Lyrischen. Damit bettet er die gesamte Symphonie in eine einheitliche, geradezu pastorale Sphäre. Man mag das als befreiend empfinden, aber unüberhörbar ist auch eine Monochromie, die den Schattierungen und energischen Kontrasten nicht gerecht wird. Was Brahms-Forscher Peter Gülke eine „brutale, störende Intervention“ genannt hat – die Pauken- und Posaunen-Passage am Ende des Hauptthemas –, wird bei Netopil zum aparten Farbakzent. Auch die bohrenden Akkordbrechungen gewinnen keine dramatische Relevanz. Und die drängenden Imitationen des beiläufigen Eröffnungsmotivs, das sich als thematisch wichtige Zelle offenbart, bauen keine Spannung auf. Lyrik wird zum Lyrizismus.

Was bei Brahms den Eindruck des Defizitären nicht abschütteln kann, darf bei Haydn als reine Tugend gelten: Mit dem Cellisten Johannes Moser ergibt sich im C-Dur-Cellokonzert des Esterhazy’schen Meisters ein frisches, heiteres Zusammenspiel, ungetrübt von schwerköpfiger Reflektion oder sauertöpfischer Grübelei.

Moser verzärtelt weder den zupackenden Optimismus des ersten noch die pikante Beweglichkeit des dritten Satzes. Die Phrasierung ist markant, die Tongebung bestimmt und klar definiert; der Klang des Cellos changiert zwischen zart verrauchtem Piano und forscher Brillanz. Und das Adagio ist von jener schimmernden Sanglichkeit geadelt, die seit jeher als Prüfstein für die Musikalität jedes Cellisten gelten darf. – Die „Tänze aus Galánta“ Zóltan Kodálys zur Eröffnung des Abends leben aus den melodiösen Reminiszenzen, die der forschende Kollege Béla Bartóks in der heimischen Musik dieser Provinzstadt rund fünfzig Kilometer östlich von Bratislava entdeckt hatte und in einer subtilen symphonischen Form voll klanglicher Reize verarbeitete.