Mein kleiner flacher Geselle

Der flache Geselle und ich. (Bild: Privat)

Der flache Geselle und ich. (Bild: Privat)

Noch vor einem Jahr gehörte ich zu jenen ehrenwerten Menschen, die sich dem Digitalmonster Facebook verweigern. Mit sogenannten Friends banales Zeug austauschen? Niemals! Jetzt bin ich drin – und liebe es.

Ja, mein Bedürfnis an perlenden Tischgesprächen und guten Büchern hat tatsächlich gelitten. Sogar ins Café nehme ich anstelle der Tolstoi-Dünndruckausgabe das iPad mit, meinen kleinen flachen Gesellen. Denn ich muss immer erst mal gucken, was so läuft.

Aha, Friend Simon (den ich im wahren Leben sieze) hat in Brüssel eine Tüte Fritten fotografiert, und Lydia (die ich überhaupt nicht kenne) beneidet ihn darum. Das ist vielleicht nicht wirklich wichtig – aber es beruhigt. Genau wie die blauen Augen eines Weimaraner Vorstehhundbabys, das demnächst zur Familie von Friend Hans gehören wird. Ein Labsal fürs einsame Gemüt sind auch die Retro-Songs („Stand by me“) und japanischen Kunstfotografien, die meine Tochter im fernen Paris so postet. Friend Bernd mag wie ich die lieblich-lahmen Chansons von Francoise Hardy und zeigt der Welt skurrile Currywurstbudenschilder („Kumpelschale“) oder den Dortmunder Mondschein zwischen kahlen Zweigen. Damit ergattert er tagtäglich lebhafte Kommentare und Dutzende von „Gefällt mir“-Klicks. Schließlich hat er 321 Friends.

Ich habe nur 87, und höchstens zwei bis drei finden meine Hervorbringungen toll. Das ist schlapp. Von den allermeisten höre und sehe ich überhaupt nie etwas auf meiner Facebook-Startseite. Haben die mich etwa weggeklickt – oder was? Einige pflegen die Karriere durch Chefschmeicheleien oder retten die Welt durch politisch korrekte Links. Dazu fehlt mir der Impuls. Seufz. Facebook kann auch ein Quell des Zweifels werden, bigger than life. Ich tröste mich, indem ich bei Anderen etwas Freundliches kommentiere – wofür ich prompt ein Händchen mit erhobenem Daumen bekomme. So läuft’s Business, ich verstehe.

Man darf die Welt auch zur Gefallenskundgebung einladen, das ist kurioserweise nicht peinlich. Ich soll zum Beispiel das Frauenmuseum Bonn mögen. Aber ich kenne das Frauenmuseum Bonn gar nicht. Nach Ansicht meiner Tochter kann ich trotzdem mal auf „Gefällt mir“ klicken. Und überhaupt sollte ich nicht immer so kritisch sein und ein You-Tube-Video mit animierten Gemälden als „Digitalkitsch“ bezeichnen. „Öffentliches Gemotze ist peinlich, Mama“, wurde ich belehrt.

Das irritiert mich schon – genau wie die Tatsache, dass in der Reklamespalte auf meiner Startseite für Senioren-Websites („Bist du 55 oder älter?“), „Schicke Big Size Kleider“ und Haartransplantationen geworben wird. Ich glaube, heute Abend versuche ich’s mal wieder mit einem perlenden Tischgespräch und leibhaftigen Friends. Aber der kleine flache Geselle wartet. Und nachher, da guck ich wieder, was so läuft.