Schuljahre mit Schweinepünktchen

Es ist schon ein paar Tage her, wir müssen etwa elf Jahre alt gewesen sein. Sextaner oder Quintaner, wie das damals hieß. Unser ziemlich langer Schulweg führte am altehrwürdigen Dortmunder Stadion Rote Erde („Kampfbahn“) vorbei – zum Max-Planck-Gymnasium an der Ardeystraße.

Auf den Rückwegen ins Kreuzviertel gab es ein Ritual, das Klaus (mein alter Freund seit Grundschultagen, der Himmel hab’ ihn selig) und ich sehr ernst genommen haben, als wären wir beim Statistischen Bundesamt. Ich rede von dem, was wir liebevoll „Schweinepünktchen“ nannten!

(Foto: Bernd Berke)

(Foto: Bernd Berke)

Ihr fragt, was das denn gewesen sei? Ich will es euch sagen.

Durchaus gewissenhaft

Nicht völlig unparteiisch, jedoch durchaus gewissenhaft führten wir eine Liste der Lehrer, die sich tagsüber bei uns besonders unbeliebt gemacht hatten. Lebhaft debattierten wir über die Punktvergabe und kürten so – bestens begründet, wie wir fanden – das Schwein des Tages, addierten die ermittelten Werte zur Wahl des Schweins der Woche und riefen schließlich feierlich auch ein Schwein des Monats und des Jahres aus. Irgendwie musste man ja den Schulfrust bewältigen.

Ich kann mich natürlich nicht mehr Wort für Wort erinnern. In den besten Momenten müssen es allerdings veritable Rezensionen der aktuellen Lehrerauftritte gewesen sein, Theaterkritiken mithin, insofern auch kleine Vorübungen fürs wahre Leben, vermutlich nachhaltiger als so manche Deutschstunde. Und so mancher Befund hätte vielleicht als Grundlage eines Gutachtens für den Schulrat dienen können. Schon Bert Brecht hat geschrieben, die wahre Aufgabe eines Lehrers sei nicht die Stoffvermittlung, sondern die, sich vor den Schülern auszuleben. Wir haben es erlitten.

Pädagogisches Symposium

Hin und wieder schlossen sich Mitschüler unserer Debatte an, mit denen wir einen Teil des Weges gemeinsam hatten. Dann wurde es geradezu ein Symposium über Aspekte der Pädagogik und Psychologie; unter besonderer Berücksichtigung des Schülerinteresses, versteht sich.

Es war eine Zeit, in der man es noch nicht gewagt hat, einem Lehrer mit offener Kritik entgegenzutreten. Auch standen damals die allermeisten Eltern – ganz anders als heute – im Konfliktfalle prinzipiell auf Seiten der Lehrer. Man musste sich anders behelfen, musste gleichsam sublimieren.

Warum ich mich gerade jetzt daran erinnere? In letzter Zeit habe ich bei diversen Anlässen erwogen, die Schweinepünktchen unverzüglich wieder einzuführen. Derzeit führt unangefochten ein Notar die Liste an, über den ich natürlich keine weiteren Andeutungen machen will. Er möge allerdings schleunigst zur Hölle fahren. Seine vielen Pünktchen darf er mitnehmen.