Starke Gemeinschaftsleistung: Leonard Bernsteins „On the Town“ in Gelsenkirchen

Die forsche Taxifahrerin Hildy (Judith Jakob) kutschiert Chip (Michael Dahmen) durch New York (Foto: Thilo Beu/MiR)

Die forsche Taxifahrerin Hildy (Judith Jakob) kutschiert Chip (Michael Dahmen) durch New York (Foto: Thilo Beu/MiR)

Den Erfolg seines Musicals „West Side Story“ hat Leonard Bernstein in späteren Jahren oft erdrückend gefunden. Er, der gerne als Komponist ernsthafter Werke anerkannt werden wollte, der neben drei Sinfonien noch die „Chichester Psalms“, Lieder, Klavier- und Kammermusik schuf, fühlte sich immer wieder auf seine drei populärsten Werke reduziert.

Zu ihnen zählt neben der „West Side Story“ und „Candide“ sein bereits 1944 uraufgeführter Musical-Erstling „On the Town“: ein vor Optimismus sprühender Geniestreich eines 26-Jährigen, der in der Verfilmung mit Gene Kelly, Frank Sinatra und Jules Munshin weltberühmt wurde. Drei Matrosen auf Landgang in New York haben in dieser turbulenten Seemannskomödie nur 24 Stunden Zeit, um die Stadt und die große Liebe zu erobern.

Einem lang gehegten Wunsch seines Chefdirigenten Rasmus Baumann folgend, hat das Musiktheater im Revier jetzt alle Kräfte gebündelt, um „On the Town“ zu einem lebensprallen Streifzug durch das New York der 40er Jahre zu gestalten. Gelsenkirchens Hausregisseur Carsten Kirchmeier, neben Kinderopern hier schon für drei Musicalproduktionen verantwortlich, arbeitete dabei Seite an Seite mit Ballettchefin Bridget Breiner, deren Compagnie den Schwung von Bernsteins Musik lustvoll aufgreift und umsetzt.

Die Jagd nach dem Glück spielt sich zwischen monumentalen Überseekoffern ab, die eng gruppiert die Straßenschluchten von Manhattan heraufbeschwören, zuweilen aber auch überraschende Inhalte freigeben. Auf diese sicherlich kostengünstige, aber wirkungsvolle Bühne von Jürgen Kirner zaubert die Kostümabteilung US-amerikanischen Charme, der Nostalgie und Glamour zitiert, das Grelle aber wohltuend meidet (Renée Listerdal). So kommt eine unterhaltsame Typenparade zustande, die das facettenreiche Bild einer vibrierenden Metropole zeichnet.

Umschwärmt: Die "Miss U-Bahn Ivy Smith (Julia Schukowski. Foto: Thilo Beu/MiR)

Umschwärmt: Die „Miss U-Bahn“ Ivy Smith (Julia Schukowski. Foto: Thilo Beu/MiR)“

Die Premiere gerät vor allem deshalb zum Erfolg, weil Statisten, Chöre, Sänger, Tänzer und Musiker überzeugend an einem Strang ziehen. Dies hilft der Produktion vor der Pause über manch zähflüssigen Dialog hinweg.

Für die starke Gemeinschaftsleistung seien ein paar Namen exemplarisch herausgehoben: Die Matrosen Gabey (Piotr Prochera), Chip (Michael Dahmen) und Ozzie (E. Mark Murphy), die vor jugendlicher Unternehmungslust schier aus ihren Uniformen platzen, die blonde Ivy Smith (Julia Schukowski), die für ihre Gesangsübungen sogar in den Kopfstand geht, die skurrile Anthropologin Claire (Dorin Rahardja mit sicheren Spitzentönen) und die forsche Taxifahrerin Hildy, von Judith Jakob mit quirligem Temperament und auftrumpfender Stimme verkörpert. Die staunenswerte Athletik des Tänzers Joseph Bunn, manch stimmungsvoller Pas de deux und viele liebevoll gezeichnete Nebenfiguren füllen das Porträt der Großstadt mit Farben.

Abermals spielt sich im Orchestergraben unter der Leitung von Rasmus Baumann ein kleines Wunder ab. Vom Beat des Schlagzeugs unterstützt, zelebriert die Neue Philharmonie Westfalen einen Big Band Sound, der sich bis zur Zarathustra-Apotheose steigern kann und doch nie knallig klingt. Noch in den vertracktesten Rhythmuswechseln geht das Orchester geschmeidig mit.

Wirklich aufhorchen lassen die vielen feinen Nuancen, die unter dem Pomp an die Oberfläche steigen. Da gibt es jüdische Anklänge, Orientalismen, Blues-Eintrübungen und feurige Latin-Rhythmen, dass man sich die Ohren reiben möchte. Die Neue Philharmonie Westfalen zeigt uns Leonard Bernstein als musikalisches Chamäleon, das viele Stile adaptieren kann, ohne seinen spezifischen Sound zu verlieren. Inwieweit eine strikte Unterteilung in U- und E-Musik da noch sinnvoll wäre, müssen sich selbst hart gesottene Klassikfreunde fragen.

(Der Bericht ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen. Informationen und Termine: http://www.musiktheater-im-revier.de/Spielplan/Oper/OnTheTown/)