And the Oscar goes to… – eine ganz persönliche Favoritenschau in letzter Minute

Weil ich ja so gern in Filme einziehe (ebenso gern wie in Bücher), hätte mich diese Oscar-Saison beinahe in die Obdachlosigkeit getrieben, wären da nicht doch noch zwei Außenseiter um die Ecke gekommen. Nach einigen Wochen extreme-movie-watching wurde ich quasi last minute noch fündig. Ein Glück!

Ich werde hier nur die wichtigsten Kategorien erwähnen, der Rest kommt bei mir so unter ferner liefen. Hauptsächlich weil so zeitaufwändig.

Zwei nominierte Filme beziehungsweise Darsteller, für die mein Herz dann Sonntagnacht ein paar Schläge mehr leisten muss, sind die, die ich zuletzt gesehen hatte.

„Philomena“ nominiert für „Best Motion Picture“ und „Best Leading Actress“ – Judi Dench
Eine schöne Geschichte, ein wenig traurig, ein wenig heiter. Bewegend. Vergangenheitsbewältigung einer alten Frau, die sich auf die Suche nach Anworten macht. Trotz ausgeprägt negativer Erlebnisse im Namen der Kirche verliert sie erstaunlicherweise ihren Glauben nicht.
Von mir Oscars für „Bester Film“ und „Beste Hauptdarstellerin“.

„Blue Jasmine“ bekam zwei Nominierungen:
für „Best Actress“ und „Best Supporting Actress“
Woody Allens „Blue Jasmine“ beschreibt den neuen Lebensabschnitt von Jasmine, die inzwischen völlig verarmt ist. Nicht zuletzt, weil der Ehemann vorher seinem betrügerischen Leben ein Ende gesetzt hatte. Jasmine kriecht bei ihrer Schwester unter, die aber ihre eigenen Probleme hat. Jasmine bewegt sich rasant in einer Abwärtsspirale zwischen Traum und Wirklichkeit.
Hier bin ich hin- und hergerissen zwischen Cate Blanchett und Judi Dench. Eigentlich ist meine erste Wahl doch Cate. Noch vor Judi.
Ach, ich würd mich für beide gleich freuen.

Nun mal zu meinen Vermutungen, wie die anderen Nominierten so abschneiden werden:

Kategorie „Best Motion Picture“
„American Hustle“

Ein Schelmenstück. Wer zieht wen geschickter über den Tisch, wer fliegt auf und warum. Witzig und turbulent erzählt und gespielt. Für mich allerdings kein Oscar-Kandidat.
„Captain Philips“
Ein amerikanischer Kapitän zur See fällt vor der Küste Ostafrikas in die Hände von skrupellosen Seeräubern. Durchgehend ziemlich spannend. Schlussszene mit Hanks schon oscarwürdig, aber ein Schluss allein kann doch nicht ausschlaggebend sein.
„Dallas Buyers Club“
Das Thema Aids, mit einigem Humor und genügend ernsten Untertönen erzählt. Unterm Strich eine Bad-Boy-Geschichte, deren Held, ein Rodeo-Cowboy, kriminell wird, um anderen helfen zu können. Mit seiner Southern-Boy-Schlitzohrigkeit sich selbst natürlich auch. Und weil ihn die Politik, das System, im Stich lässt. Mit einem Oscar für „Best Motion Picture“ könnte ich leben, aber muss nicht.
„Gravitiy“
Taumeln im Weltall. Abenteuer und Nervenkitzel. Wenn man bedenkt, dass bisher alle, die ohne Kapsel auf (filmischen) Missionen im Weltraum unterwegs waren, nicht zurück kamen, dann ist das schon ganz großes Abenteuer. Ziemlich früh werden die Hauptpersonen von zwei auf eine reduziert, die dann ganz allein und lost in space im dusteren All rumschwebt. Mit 90 Minuten Spielzeit durchaus Standard, aber gefühlte drei Stunden Spannung. Trotzdem war das Ende vorhersehbar. Wer in Hollywood lässt schon eine Sandra Bullock so im All verknuspern? Aber toll fotografiert. Excellent special effects, dafür allein müsste ein Oscar drin sein (Beste Kamera). Nix von mir.
„Her“
Science Fiction. Muss man mögen. Ich bin nur in ganz besonderen Fällen dafür zu haben. Dieser hier hat mich von Anfang an nicht erreicht. Bestimmt mein Fehler. Aber ich bin hier der Verteiler von Oscars, deshalb nix von mir. Also nix für whatever.
„Nebraska“
Vater und Sohn-Geschichte mit einem Hauch Road Movie, in „back tot he roots“ schwarz/weiß. Berührend, aber auch nicht ohne Witz und Charme. Wunderbare Vorstellung vom alten Bruce Dern. Best Motion Picture hab ich da nicht unbedingt gesehen, aber originelle Story. „Best Director“ allerdings, da wär ich für.
„12 Years a Slave“
Vergangenheitsbewältigungsfilme braucht jedes Land. Und viele haben sich schon getraut. Auch Amerika hat durchaus einiges zu bewältigen in seiner 238jährigen Geschichte. Viel Böses, Ungerechtes und Unschönes ist da passiert, das ja immer noch nicht wirklich bewältigt ist. So ist das überall auf der Welt und für jeden von uns. Es gibt immer was zu bewältigen, und das kann man immer in Filmen thematisieren. Das geht witzig (Inglourious Basterds, Django Unchained) aber es geht auch staatstragend. Das meine ich nicht abwertend, aber es nimmt jeder Geschichte die Leichtigkeit. Nun ist Sklavenhandel und –haltung nichts, das mit Leichtigkeit und Tralala verkitscht werden sollte. So gesehen, hat man sich in diesem Film des Themas würdig angenommen. Gute Darsteller, gute Geschichte, sehr viel Realismus. Und Epos nicht zu vergessen. Unglaublich brutal. Hollywood schwelgt derzeit in diesem Genre. Deshalb glaube ich, dass das der Abstauber des Abends werden könnte.
„The Wolf of Wall Street“
The American Dream. Sehr schnell sehr reich werden. Im schlimmsten Fall pflastern ein paar Leichen den Weg dahin. Bildlich gesprochen. Man braucht eine Idee, einen smarten Kopf und Chutzpe. All das hat der Wolf, der sein Glück an der Wall Street, dem Geldzentrum der westlichen Welt, sucht und findet. DiCaprio kann diese schmierigen Fieslinge gut (tendiert aber bisweilen zur Bräsigkeit). Egal, wie gut die Geschichte erzählt wird, ich kann diesen Storys über Abzocker, die sich ohne jegliche Skrupel über den Rest der Gemeinschaft (der sie nicht angehören wollen und können) erheben und sie um ihre Existenz bringt, einfach nichts abgewinnen. Insbesondere dann nicht, wenn es sich um wirkliche Ereignisse handelt. (Wie übrigens einige andere der Wettbewerbsfilme auch.)

Kategorie „Beste Regie“
David O. Russell „American Hustle“

Nun ja, netter Film, lustig und gut besetzt. Durchweg straff inszeniert (ein Gag jagt den nächsten). Aber Trophäen-Material? Nicht für mich..
Alexander Payne „Nebraska“
Schön erzählt, ruhig und tongue-in-cheek: Eine 800-Meilen-Reise des alten Mannes (von Billings, Monatana, nach Lincoln, Nebraska), der sein Gewinner-Los bei den Sweepstakes einlösen will. Kauzige Darsteller, (wunderbar Bruce Dern), flotte Handlung. Paynes Film „The Descendants“ hatte mich nicht so beeindruckt, aber „About Schmidt“ – unvergessen. Einen Oscar von mir für „Best Director“ – yeah!
Martin Scorcese „The Wolf of Wallstreet“
Ja, der Marty, hier war ich erst mal hin- und hergerissen. Bombast und satte Bilder. Sprachgewalt und Spielfreude. Thematisch nix für mich. Wenn sich die Motion Picture Jury auf ihn eingeschworen haben sollte, dann kriegt er ihn. Aber die können sich ja auch nicht vierteilen. Von mir nüscht.
Steve McQueen „12Years a Slave
Im Rahmen der land slide Nominierungen könnte er gute Chancen haben. Hollywood, I hear you knocking. Wird das echt der Abräumer? Schon wieder nix von mir.
Alfonso Cuarón „Gravity“
Nö. Obwohl ja toll fotografiert, tolle Technik, eindrucksvolle Bilder und all das. Aber NÖ.

Bester Hauptdarsteller
Christian Bale „American Hustle“

Siehe oben. Guter Schauspieler, durchaus. Aber nicht in diesem Film. Vielleicht wusste ich seine Leistung auch nicht richtig zu schätzen, weil ich den Film nicht so mochte? Egal. Nix (ich kann ja auch nur einen Preis pro Kategorie vergeben).
Bruce Dern „Nebraska“

Jaaa, jaaaa, jaaaaa. Bruce Baby. Herrliche Szene gegen Ende, als er am Steuer des (fast) neuen Pick-up Trucks durchs Heimatdorf schleicht und seinen Sohn anweist: „Duck dich, duck dich“. Den Oscar würd ich ihm am liebsten persönlich in die Hand drücken.
Leonardo DiCaprio „The Wolf of Wall Street“
Der hatte ein paar richtig gute Rollen in den letzten Jahren. Er verkörpert den gierigen Schmierlapp sehr lebensecht. Aber er ist mir so unsympatisch, dieser Film und seine Protagonisten. Nix von mir.
Matthew McConnaughy „Dallas Buyers Club“
Ja, damit könnt ich leben. McConaughey wird immer mehr zum Charakterdarsteller. Als Ron Woodroof, Elektriker und in seiner Freizeit Rodeo-Cowboy, der für ein paar Dollar auf wilden Stieren rumreitet, hat er mich überzeugt. Als Aidskranker auch. Er war so besessen von der Rolle, dass er 20kg Gewicht verlor, um den immer kränker werdenden Ron so realistisch wie möglich darstellen zu können. Wenn Dern den goldenen Knaben nicht bekommt, dann sollte McConnaughy ihn haben.
Chiwetel Ejiofor „12Years a Slave“
Siehe oben. Hollywood Choice. Verdient hätte er es bestimmt. Aber… aber…

Beste Hauptdarstellerin
Amy Adams „American Hustle“

Uh-uuh – no no.
Cate Blanchett „Blue Jasmine“
Die isses. Für mich jedenfalls (siehe ganz oben).
Judi Dench „Philomena“
Ja, ja, ja! Am schönsten fänd ich, wenn sie und Cate Blanchett einen bekommen könnten. Aber wenn Blanchett leer ausgeht, dann bitte, bitte Judi Dench.
Sandra Bullock „Gravity“
Die Mimik von Frau Bullock durchläuft geschätzte drei Phasen. Wenn man vergisst, dass es den schönen George (Clooney) schon ziemlich am Anfang zerdengelt, ruht die ganze schauspielerische Anforderung auf Sandra Bullock, die auch eine Art „happy end“ mimen darf. Warum sie für „Best Actress“ nominiert ist, entzieht sich meiner Vorstellungskraft.
Meryl Streep „August: Osage County“
NEE! Absolut nicht. Selten hab ich Streep so schrecklich gefunden. Eigentlich noch nie. Da häng ich ganz schnell mein Mäntelchen des gnädigen Vergessens drüber.

Bester Nebendarsteller
Barkhad Abdi „Captain Philips“

Nojo! Aber nö.
Bradley Cooper „American Hustle“
Nee, auch nicht.
Michael Fassbender „12 Years a Slave“
Im Rahmen der Anhäufungen von Nomis für gefühlt alle Sparten des Films. Und Fassbender ist ja ein guter Schauspieler, verdient hätte er einen Oscar allemal. Meinetwegen gerne.
Jonah Hill „The Wolf of Wall Street“
Wär ne Möglichkeit, aber lieber Fassbender. Am liebsten aber:
Jared Letho „Dallas Buyers Club“
Gerne den. Ein Gutes Team, er und McConnaughey.

Beste Nebendarstellerin
Sally Hawkins „Blue Jasmine“

Wär eigentlich okay, jedenfalls nicht so abwegig. Sie hat mir gut gefallen als die arme Schwester von Jasmine.
Julia Roberts „August: Osage County“
Um Himmels Willen, nein. Also wirklich!!!
June Squibb „Nebraska“
Leider weiß ich schon gar nicht mehr, welche Rolle die hatte. Offenbar hat sie mich nicht beeindruckt. Vielleicht war sie großartig, ’schullijung.
Jennifer Lawrence „American Hustle“
Ja! Mit Fug und Recht.
Lupita Nyongo’o „12 Years a Slave“
Könnte so ausgehen. Angesichts der Nominierungsschwemme durchaus möglich. Am besten 99 Oscars für alle, die maßgeblich an dem Werk beteiligt waren.
Auch für die Kabelträger.

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Die Oscar-Verleihung wird heute (Nacht vom 2. auf den 3. März deutscher Zeit) ab 1.30 Uhr bis 5.50 Uhr bei Pro Sieben übertragen)