Eine Chance für junge Musiker: Orchesterakademie Essen vergibt Stipendien

Links, erste Geigen. Drittes Pult, vorne. Das ist er: Schlank, schwarze Haare, schwarze Augen. Nestor Luciano Casalino, einer der jungen Musiker aus der Orchesterakademie der Essener Philharmoniker. Einer aus 400 Bewerbern, der für ein Jahr eines der heißbegehrten Stipendien ergattert hat.

Der Geiger Nestor Luciano Casalino (rechts) mit seiner Mentorin Natalie Arnold. Foto: Werner Häußner

Der Geiger Nestor Luciano Casalino (rechts) mit seiner Mentorin Natalie Arnold. Foto: Werner Häußner

Geige zu spielen hat der Argentinier schon mit vier Jahren begonnen: „Mein Onkel ist Pianist und arbeitet als Korrepetitor. Er hat mit die Geige gekauft und den ersten Unterricht bezahlt.“ Casalinos Geigenlehrer in Argentinien hatte in Köln studiert – und dem jungen Mann die Musikhochschule in Deutschland empfohlen.

2010 war er zum ersten Mal hier, ein Jahr später hat er in Köln die Aufnahmeprüfung bestanden, erzählt Casalino in flüssigem Deutsch. Nein, in der Schule hat er die Sprache nicht gelernt: „Erst fünf Monate vor Beginn des Studiums habe ich intensiv begonnen, mich mit Deutsch zu beschäftigen.“ Die Alternative, in der vertrauten Sprache Italienisch zu studieren, hat er ausgeschlagen: „Ich wollte nicht nach Italien, sondern etwas Neues kennenlernen.“

Fünf Monate Deutsch – dann von Córdoba nach Köln

Der junge Mann aus Córdoba weiß um die tolle Chance. Und er weiß, wem er sie zu verdanken hat. Die Orchesterakademie wird ausschließlich von Sponsoren und engagierten Musikfreunden getragen. Der Verein mit gut 100 Mitgliedern ermöglicht pro Jahr acht jungen Musikern, sich eine Spielzeit lang intensiv auf den Einsatz in einem Spitzenorchester vorzubereiten. „Seit Gründung 1999 haben wir mehr als 100 jungen Menschen ein Stipendium ermöglicht“, berichtet Vorsitzender Herbert Lütkestratkötter. 2014/15 sollen es sogar zehn sein. Bereits mit 80 Euro Jahresbeitrag kann man zu den Förderern gehören. Für Lütkestratkötter ist der Verein ein Beispiel bürgerschaftlichen Engagements: „Ich habe Interesse an Musik und möchte etwas für junge Menschen tun“, erklärt er seine Motivation.

Nestor Luciano Casalino wird von einem „anonymen Privatspender“ gefördert. Bei seiner Geigen-Kollegin Johanna Radoy kommen die Mittel von der Alfred und Cläre Pott Stiftung. Der finnische Cellist Christian Fagerström wird von Helene Mahnert-Lueg unterstützt. Und bei der Fagottistin Kaitlyn Grace Cameron trägt der frühere Essener Orchesterchef Stefan Soltesz bei: Er war im März 1999 einer der Gründerväter der Akademie und ist seit 2012 ihr Ehrenmitglied.

„Musiker ist ein emotionaler Beruf“

Der 23-jährige Geiger, der in Wuppertal studiert, freut sich, den Spielbetrieb eines Orchesters kennenzulernen: Proben, Arbeit mit verschiedenen Dirigenten, Austausch mit erfahrenen Musikern. Jeder Stipendiat hat einen persönlichen Mentor aus dem Orchester zur Seite. Für Casalino ist das die Geigerin Natalie Arnold: „Wir machen jede Woche eine Stunde Unterricht, gehen Opern durch, bereiten die Standardstücke vor, die bei Probespielen verlangt werden.“ Vor allem die Oper komme in der Hochschul-Ausbildung zu kurz. Da bringen die Erfahrungen am Aalto-Theater die jungen Musiker ein gutes Stück weiter. Alleine fünfzehn Opern lernt Casalino in der laufenden Spielzeit. Dazu kommen die Dienste bei einigen Konzerten.

Natalie Arnold weiß auch, dass die angehenden Orchestermusiker Tipps brauchen, wie sie die psychisch belastenden Probespiele und – bei Anstellung – das Probejahr bewältigen können: „Musiker ist ein emotionaler Beruf, man muss sich im Orchester aufeinander einstellen. Ein junger Kollege kann dabei viel falsch machen.“ So geben die Mentoren den jungen Berufsanfängern auch Informationen, wie man eine Bewerbung richtig angeht: „Sie wissen nicht, auf was Orchester bei Bewerbern achten. Nach welchen Kriterien Bewerbungen ausgewählt werden. Und wie man sich im Gespräch und Vorspiel richtig präsentiert.“

Casalino hat’s offenbar richtig gemacht: Der aufgeschlossene junge Mann hat einen Jahresvertrag bei den Essener Philharmonikern in der Tasche. Und ist damit so glücklich wie sein Mit-Stipendiat Francesc Saez: Der bekam nach erfolgreichem Probespiel die freie Hornistenstelle im Orchester. Kein Einzelfall ist, dass ehemalige Stipendiaten zu den Philharmonikern zurückkehren. Andere sind in namhaften Orchestern in der ganzen Welt tätig. Nestor Luciano Casalino freut sich jetzt erst einmal, dass er bald bei seiner Lieblingsoper, Giacomo Puccinis „Turandot“, im Graben dabei sein darf. Und er möchte gerne wieder Mozarts „Figaro“ spielen: „Das war die erste Oper, die ich noch als Geigenschüler im Orchester in Córdoba mitspielen durfte.“

(Der Bericht ist in kürzerer Form bereits in der WAZ Essen erschienen)