Schmuck mit Seele

Wie hat wohl die Urgeschichte der Skulptur begonnen, von welcher Art waren die frühesten Vor-Bilder? Prof. Christoph Brockhaus, Chef des Duisburger Lehmbruck-Museums, hat da eine plausibel klingende Vermutung: Amulette und magische Glücksbringer in Form von Schmuckstücken dürften von allem Anfang an gefertigt worden sein. Es birgt also seinen tieferen Sinn und Hintersinn, dass das auf Skulpturen spezialisierte Haus nun Schmuck zeigt, der von Bildhauern geschaffen wurde.

Brockhaus legt Wert auf trennscharfe Unterscheidung vom bloßen Schmuck-Design. Dabei stünden die gute (anzufügen wäre: meist eher gefällig geglättete) Form und handwerkliche Präzision im Vordergrund, während Künstler auch auf diesem Gebiet mit geistigem Anspruch antreten, zumeist auf Transzendenz aus sind und hierzu dem Material eine ureigene, möglichst unverwechselbare Handschrift aufprägen.

Manche dieser Prägemuster oder auch Markenzeichen erkennt man tatsächlich auf einen Blick, freilich wirken sie in der Schmuckform wie verfremdet. Günter Uecker treibt auch aus dem Schmuck Nägel hervor, als gelte es, stachlige Abwehr zu gewährleisten – vielleicht gegen bösen Zauber? Lucio Fontana, bekannt durch „geschlitzte“ Bilder, hat den Edelmetall-Flächen seines Schmucks gleichfalls solche Schnitte zugefügt. Louise Bourgeois hat eine Spinne zur Brosche geformt, die direkt aus einem Alptraum zu stammen scheint. Alexander Calders Armreife oder Halsbänder sind so filigran und wundersam beweglich wie seine sonstigen Werke. Man sagt nicht zu viel, wenn man feststellt: So manche dieser Schmuckstücke haben eine „Seele“, sie sind alles andere als Beiwerk.

Es geht bis in den Olymp der Kunst hinauf. Besonders zwei Namen bürgen für Gipfelglück: Pablo Picasso offenbart sich auch im Medium des Schmucks als der schier unendlich schöpferische Universalkünstler, der er nun einmal gewesen ist. Die goldenen Medaillons für seine Geliebte Francoise Gilot, versehen mit traumwandlerisch formsicher stilisierten Frauen-, Faun- oder Tier-Darstellungen, deuten wahrhaftig auf unvordenkliche Frühzeiten der Künste und der menschlichen Geschichte. Ähnlich nah an den magischen Ursprüngen bewegt sich Max Ernst mit gleichfalls in Gold getriebenen Miniatur-Masken, die als Anhänger dienten.

Die rund 185 skulpturalen Schmuckstücke, von Fall zu Fall ergänzt um Bildhauer- und Papier-Arbeiten der beteiligten Künstler, gehören überwiegend zur Sammlung von Diana Küppers aus Mülheim/Ruhr. Sie besitzt die wohl weltweit bedeutendste Kollektion von Bildhauerschmuck der Moderne. Seit 1978 hat sie ihre Schätze zusammengetragen, bisweilen im engen persönlichen Kontakt zu Künstlern wie etwa Gotthard Graubner (der auch hier seine Farbkissen-Formen aufgegriffen hat) oder Niki de Saint Phalle, deren Schmuck-Oeuvre natürlich auch (aber nicht nur) prallbunte „Nana“-Weibsgestalten aufleben lässt.

Die Duisburger Liste verzeichnet weitere Künstlernamen von höchstem Rang, beispielsweise: Hans Arp, Georges Braque, Eduardo Chillida, Jean Cocteau, Salvador Dali, Marcel Duchamp, Yves Klein, Roy Lichtenstein, Robert Rauschenberg (Brosche mit rostigem Metallfundstück), Man Ray, Frank Stella, Andy Warhol… Wer hätte gedacht, dass all diese Größen Schmuck hergestellt haben?

Oft handelt es sich um echte Unikate, die für Gefährtinnen entstanden sind. Auflagen dieser körperbezogenen Kunstwerke gab es allenfalls in geringer Stückzahl, um den Wert der Einzelobjekte nicht zu schmälern. Kunsthistorisch betritt man hier – so Christoph Brockhaus – „terra incognita“, denn der Schmuck ist meist nicht in den jeweiligen Werkverzeichnissen erfasst. Da schlummert also noch viel unerledigte Forschungsarbeit.

Von Picasso bis Warhol – Bildhauerschmuck der Avantgarde. Duisburg, Wilhelm Lehmbruck Museum, Düsseldorfer Str. 51 (Besucheradresse Friedrich-Wilhelm-Straße 40). Bis 14. Februar 2010. Geöffnet Di-Sa 11-17, So 10-18 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 6 Euro (ermäßigt 3 Euro), Familie 12 Euro. Katalog 25 Euro. Buchung von Führungen Tel.: 0203/283 21 95. Internet: www.lehmbruckmuseum.de

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 16 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Kunst & Museen abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.