Eine Inszenierung vernichtet sich selbst – „Purpurstaub“ bei den Ruhrfestspielen

Wer heutzutage ins Theater geht, braucht eine steife Oberlippe (wie die Briten sagen). Augen zu und durch und keine Schwäche zeigen! Auch wenn die Aufführung grauenvoll ist, wenn man sich für dumm verkauft fühlt und wenn man nicht ein Fitzelchen von dem bekommt, was man sich nach Kenntnis des Stücks (naiv, wie man ja immer wieder antritt) erhofft hatte. Und man erinnert sich an Horst Köhlers Forderung nach irgendwie „vorlagengerechter“ Inszenierung, die zwar von großer Ahnungslosigkeit getragen war, ihren Urheber aber sympathisch machte.

Purpurstaub_01_JU_OSTKREUZ_honorafrei

Noch sind sie alle fröhlich. Szene aus „Purpurstaub“ in der Stuttgarter Inszenierung. Foto: JU Ostkreuz

Die Rede ist von „Purpurstaub“, der abgründigen Komödie von Sean O’Casey, die ihren Honig aus dem schwierigen Verhältnis zwischen Engländern und Iren saugt, zwischen neureichen, kulturlosen Dummköpfen und Eingeborenen, die es ihnen gründlichst zeigen (und ihnen überdies, wir bitten die politisch unkorrekte Formulierung zu entschuldigen, aber genau das ist gemeint: die Weiber ausspannen).

Aus dem Stoff ließe sich viel machen. Regisseur Sebastian Hartmann macht daraus – in einer Koproduktion des Schauspiels Stuttgart mit den Ruhrfestspielen – eine Versammlung von sechs burlesken Gestalten, die mit wechselnden Rollenzuschreibungen eine Geschichte vermitteln sollen, die man aber kaum erkennt, wenn man sie nicht kennte.

Es müssen ja so viele originelle Inszenierungs-Ideen untergebracht werden! Da wird das wohlige Zusammensein im frisch erworbenen „Tudor-Schlößchen“ zur endlos währenden, theatervernebelten Versammlung rund um eine Wasserpfeife, reduziert sich die Exposition auf einen endlos langen, maskenhaft fröhlichen irischen Volkstanz vor zugezogenem Vorhang, verkommen einstmals geschliffene Dialoge zu plumpem Bauerntheater zum Zwecke des Handlungsfortschritts.

Und die besten Witze sind natürlich die, die man selber macht. So schwäbeln einige Darsteller bis zum Überdruß, was wohl ihre Fremdheit im fremden (Ir-)land betont und was sich schlaue, weltgewandte Dramaturgen bestimmt in Boomtown Berlin abgeguckt haben, wo die bösen Zuzügler, die die Einheimischen qua Gentrifizierung aus ihren Wohnung vertreiben, angeblich vor allem aus Schwaben stammen. Der Schwabe ist dort – Schwaben raus! – fast schon ein Schimpfwort. Und das im Schauspiel der Schwabenmetropole Stuttgart, lustig, lustig.

Purpurstaub_02_JU_OSTKREUZ_honorafrei

Szene aus „Purpurstaub“ in der Stuttgarter Inszenierung. Foto: JU Ostkreuz

All das, wie gesagt, wäre man letztlich ja bereit zu erleiden, wenn künstlerischer Mehrwert sich an irgendeiner Stelle des Geschehens zeigte. Hier allerdings ist Demontage von Anfang an das Grundprinzip. In der vierstündigen (!) Veranstaltung, verkünden Plakate wie auch die Damen an den Kassen, sei eine Pause nicht vorgesehen. Man solle den Theatersaal nach Belieben verlassen und aufsuchen, wenn einem später wieder danach sei. Super-Idee! Die Erosion der Handlung (wg. Dauerregen geht schließlich alles wortwörtlich den Bach runter) spiegelt sich in einer auf Erosion angelegten Inszenierung!

Das Publikum hat auch fleißig mitgespielt. Um die zwei Drittel verließen im Lauf der Zeit den Saal, das Parkett war zum Ende hin sehr luftig besetzt. Aber was soll das? Bringt das irgendwen zum Nachdenken? Und was für ein respektloser Umgang mit den Schauspielern ist dies, die trotz aller Zumutungen dieser Produktion doch gerne und vor großem Publikum gezeigt hätten, was sie drauf haben. (Und wir hätten es auch sehen wollen!)

Kritik geht aber auch an die Adresse der Ruhrfestspiele. Von ihnen hätte man erwarten können, daß sie einen warnen. Dies war nicht, wie im Programmheft verkündet, „Purpurstaub von Sean O’Casey““, dies war besten- resp. schlimmstenfalls ein Machwerk nach einigen Motiven der Vorlage. „In beißenden Dialogen schildert der Text den vergeblichen Versuch, das eigene Leben mit diffusen Wünschen zu versöhnen“, können wir im blauen Heftchen lesen, doch gesehen haben wir Klamauk. Die wenigen klugen Sätze, die es aus der Vorlage bis auf die Bühne schafften, starben hier einen schnellen, unbemerkten Tod. Dem Kollegen von der WAZ, der in dieser Produktion schlichtweg eine Katastrophe erblickte, ist uneingeschränkt zuzustimmen.

Die nächste Produktion im Großen Haus ist Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“, ebenfalls Schauspiel Stuttgart, aber inszeniert immerhin vom jugendlichen Altmeister Jan Bosse. Der hat auch Becketts „Endspiel“ inszeniert, das vor wenigen Tagen als Veranstaltung der Ruhrfestspiele im Theater Marl mit Ulrich Matthes und Wolfram Koch zu sehen war. Ganz großes Theater! Und deshalb hoffen wir, dass der Bergman auch schön wird.

www.ruhrfestspiele.de