Rauschen der Ferne

Man muss schon ein paar Jährchen verbracht haben, um es noch zu kennen – das Rauschen der weiten Entfernungen, die man mit einem herkömmlichen Weltempfänger-Radio mehr schlecht als recht überbrückte. Wie man gefiebert hat, ob heute wohl Korea oder Mexiko „hereinzukriegen“ wären…

Fürs heutige Empfinden hat das alles erbärmlich geklungen. Selbst mit den besten Empfangsgeräten war vieles Glückssache. Wie stolz war man, wenn man zwischen dem Grundrauschen und ebenso kurzwellentypischen Kratz- oder Fieptönen ein paar schüttere Sätze aus Südamerika zu hören bekam. Enthusiasten ließen sich dann eigens Bestätigungskarten als Trophäen von Stationen aus aller Welt schicken. Man befasste sich ernsthaft mit Phänomenen wie Sonnenflecken, die großen Einfluss auf die Qualität des Fernempfangs haben. Fachzeitschriften ohne jegliche Hochglanz-Attitüde verkündeten tabellarisch die allfälligen Frequenzwechsel, sofern bis Redaktionsschluss bekannt.

In den eisesstarren Zeiten der Ost-West-Propagandaschlachten war Radio Moskau eine vielsprachige Dominante und Radio Tirana blies vollends abstruse Ideologie-Partikel in den Äther. Sie überdeckten und störten oft ungleich interessantere Angebote.

Längst hat das Internet die Kurzwelle in weiten Teilen der Welt überflüssig gemacht. Zigtausend Sender von überall sind online glasklar zu empfangen. „Unübersichtlich“ ist gar kein Ausdruck für diese Vielfalt. Und die großen Kurzwellenstationen stellen seit Jahren reihenweise Programme ein.

Wo ist das verheißungsvolle Rauschen geblieben, das einst auch die Sehnsucht nach Ferne enthalten hat?

Gepriesen sei die Unvollkommenheit. Vielleicht gibt es ja irgendwo schon Internet-Radios, bei denen man solche Störgeräusche künstlich hinzufügen kann, so wie man digitale Fotos auf Schwarzweiß trimmt oder mit Sepiatönen versieht – damit’s noch einmal so schön heimelig wird.

P. S.: Ob im besagten Rauschen auch etwas mitschwingt, was beseelt Hörende an der analogen LP festhalten lässt?