Fassbinders „Angst essen Seele auf“ – neu gedeutet am Maxim Gorki Theater in Berlin

Taner Sahintürk, Foto: Esra Rotthoff/Maxim Gorki Theater

Taner Sahintürk, Foto: Esra Rotthoff/Maxim Gorki Theater

Bei Intendantenwechseln suchen Schauspieler gerne oder gezwungenermaßen woanders ihr Glück: Zwei bekannte Gesichter aus NRW entdeckte ich so auf der Bühne des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin wieder. Taner Sahintürk aus Düsseldorf ist nun ins dortige Ensemble gewechselt, ebenso Anastasia Gubareva, die ich zuletzt auf der Bühne des Schauspiel Bonn gesehen habe.

Taner Sahintürk, gebürtig aus Castrop-Rauxel, wollte ursprünglich Fußballprofi werden und spielte als Nachwuchstalent bei Schalke 04. Später tauschte er Rasen gegen Bretter und diese Entscheidung scheint richtig gewesen zu sein. Anastasia Gubareva stammt ursprünglich aus Moskau, studierte an der Folkwang-Hochschule in Essen und kam nach ihrem Engagement am Theater Bonn in dieser Saison nach Berlin.

Beide spielen nun in der neuesten Inszenierung von Hakan Savaş Mican, der „Angst essen Seele auf“ von Rainer Werner Fassbinder für die Bühne eingerichtet hat. Die Sozial-Tragödie um den Türken Ali und seine Liebe zur Putzfrau Emmi (Ruth Reinecke), die an dem Rassismus ihres Umfeldes scheitert, wird hier zu einem Lehrstück des „postmigrantischen“ Theaters, für das die ebenfalls seit der Spielzeit 13/14 neue Gorki-Intendantin Shermin Langhoff steht – wenn man denn unbedingt Schubladen auf- und zuziehen will. Doch behandelt die Inszenierung zum einen explizit das Thema Rassismus und wie er sich seit Fassbinders Film von 1974 heutzutage in unserer Gesellschaft austobt; zum anderen setzt das Gorki auf ein Ensemble internationaler Herkunft. Dieses Konzept hat zwar Karin Beier in Köln auch schon verfolgt, doch einer guten Idee ist es ja eigentlich egal, wer sie hat.

In den siebziger Jahren hießen Migranten noch Gastarbeiter und der Krieg war auch erst halb so lange her. Folglich lässt Mican während der ganzen Aufführung leise Asche auf die Bühne regnen: Der Lebensmittelhändler an der Ecke verkauft Ali keine Butter, weil der seiner Meinung nicht richtig deutsch spricht und die Putzfrauen-Kolleginnen mobben Emmi, weil sie mit einem „Ausländer“ zusammen ist.

Das wirkt stellenweise tatsächlich ein wenig museal, denn heute interessiert es im Supermarkt niemanden, welche Sprache man spricht, Tante-Emma-Läden sind ohnehin passé. Und die Kollegen, nicht nur im Reinigungsgewerbe, kommen auch von überall her, so dass die Beschimpfung „Ausländer“ erst mal keinen Sinn ergibt. Das bedeutet leider nicht, dass Fremdenfeindlichkeit oder -hass ausgestorben sind, wie nicht zuletzt die NSU-Morde zeigten. Jedoch tragen sie inzwischen andere Masken.

Anastasia Gubareva, Foto: Esra Rotthoff/Maxim Gorki Theater

Anastasia Gubareva, Foto: Esra Rotthoff/Maxim Gorki Theater

So führt Mican eine Art Bänkelsänger (Daniel Kahn) ein, der Moritaten von der Liebe singt, und setzt somit stark auf die emotionale Seite der Angelegenheit. Was passiert mit einer Liebe zwischen ungleichen Partnern, die dauernd von außen, von den Vorstellungen der anderen bedroht wird? Muss sie scheitern?

Knapp ist es auf jeden Fall: Ali verliert dabei fast seinen Stolz und versucht, ihn mit einer Affäre mit einer jüngeren Frau wieder zu erlangen. Diese Zerrissenheit, das Ringen um den richtigen Weg, nimmt man Sahintürk ab, der Mann leidet wirklich. Auch Emmi muss kämpfen, besonders gegen die eigenen Kinder, wobei Anastasia Gubareva als Schwiegertochter es tatsächlich tausendmal schlimmer mit ihrem Macho-Mann getroffen hat als ihre Mutter mit dem vermeintlichen Chauvi aus dem Süden.

Zum Schluss steht – im Gegensatz zur Fassbinder-Vorlage – eine Utopie: Emmi verzeiht Ali den Seitensprung und sie beschließen, der Meute zu trotzen. Auf zu neuen Ufern.

Infos und Termine: www.gorki.de