Mozart, Goethe – und was noch? Die Statistik des Deutschen Bühnenvereins

Wie oft hebt sich in Deutschland jährlich ein Theatervorhang? Wie viele einzelne Vorstellungen stehen wohl auf dem Programm? Fünftausend? Oder gar zehntausend? Doch nicht etwa zwanzigtausend?

Immer noch weit gefehlt: Es sind über hunderttausend Vorstellungen, in Ziffern: 100 000. Diese wahrhaft imposante Zahl geht aus der Statistik hervor, die der Deutsche Bühnenverein (Köln) in jeder Spielzeit getreulich führt.

Für die Saison 2006/2007 (neuere Zahlen liegen nicht vor) heißt das exakt: 98 712 Vorstellungen in Oper und Sprechtheater, dazu 3961 Aufführungen im Tanztheater. Macht insgesamt 102 673 und hört sich nach Kulturnation an. Inbegriffen sind übrigens alle Staats-, Stadt- und Landestheater sowie die meisten Privat- und Tourneebühnen mit eigenen Produktionen. Und tatsächlich gibt es ja kein anderes Land auf der Welt, das sich so viele Spielstätten leistet. Immer noch – trotz aller etwaigen Sparmaßnahmen.

Der Eindruck einer immensen Vielfalt relativiert sich allerdings ein wenig, wenn man sich anschaut, welche Stücke und Autoren am häufigsten gespielt werden. Es sind sozusagen stets die „üblichen Verdächtigen“. Im Musiktheater liegt demnach erwartungsgemäß Mozarts „Zauberflöte“ vorn (55 Inszenierungen mit fast 350 000 Zuschauern), im Sprechtheater Goethes „Faust“ (46 Inszenierungen mit etwas über 215 000 Zuschauern). Keine Experimente also. Das gute alte „Bildungsgut“ rangiert dauerhaft ganz oben. Es schmückt ja auch seit Generationen ungemein.

Gerade in der Oper ist das Publikum eher gediegen und nicht mehr so jung an Jahren. Das begünstigt offenbar vorsichtig abgewogene, geradezu konservative Spielpläne. So kommen gleich hinter der „Zauberflöte“ diese allzeit gängigen Werke auf die höchsten Ränge: Humperdincks „Hänsel und Gretel“, Mozarts „Hochzeit des Figaro“, Bizets „Carmen“, Puccinis „La Bohème“, Mozarts „Don Giovanni“, Webers „Freischütz“, Puccinis „Tosca“, Mozarts „Cosi fan tutte“ und Verdis „La Traviata“. Mozart ist mithin Meister aller Klassen. Er tut ja auch niemandem weh.

Die Tendenz verwundert nicht: Bevorzugt wird das Leichtere, das Schwungvolle bis Schmissige, gemieden hingegen das Schwerblütige oder gar Experimentelle. Übrigens taucht auch ein Gigant wie Richard Wagner (mit „Das Rheingold“) erst auf Platz 14 auf. Da kann man sich ungefähr vorstellen, welch ein schwieriger Balanceakt es ist, mit dem Spielplan das beharrliche Publikums-Interesse zu bedienen und dennoch gelegentlich Neues zu wagen.

Im Schauspiel ist das Publikum tendenziell jünger und wahrscheinlich etwas aufgeschlossener. Dennoch halten sich auch hier die erprobten Klassiker. Hinter dem „Faust“ folgen Shakespeares „Sommernachtstraum“ und Schillers Ränkespiele in „Kabale und Liebe“. Die Reihenfolge hätte vor 20 oder 40 Jahren ähnlich lauten können. Sie schmeckt etwas nach althergebrachtem Schulpensum.

Immerhin verzeichnet die Bühnen-Statistik einen spürbaren Anstieg der Ur- und Erstaufführungen. Auch davon zehren die Theater, es verschafft ihnen zumindest in der Branche einen guten Ruf, wenn auch meist keine sonderlich hohen Zuschauerzahlen. 534 bis dato nicht in Deutschland aufgeführte Werke kamen jedenfalls neu heraus. Das waren fast 16 Prozent mehr als in der Spielzeit zuvor. Und vielleicht gibt es ja irgendwann ein paar Gegenwartsstücke, die in die Spitzengruppe vorstoßen.