Georg Stefan Troller: „Tagebuch mit Menschen“

„Tagebuch mit Menschen“ –

unvergessen ein Artikel in einem der deutschen Eliteblätter – sei es nun
FAZ oder SZ oder, oder … zum „Buch der Tagebücher“,
also zum Tagebuch überhaupt.

Wofür braucht der Leser ein Tagebuch,
wofür möchte er darin lesen?

Private Schnulzenschau, oder darf es doch etwas mehr sein?

Dann irgendwie glitt der Autor ab in einen Rundumschlag,
warum auch immer.
Ach, diese Tagebücher, diese Rotzerei, dieses ewige Zurschaustellen.

An der Stelle mochte ich dem Journalisten nicht mehr folgen,
war er wohl Opfer seiner angedachten, phantasierten,
verinnerlichten Vorstellung von Objektivität geworden.

Vielleicht hatte er auch für jenen Artikel, dem das „Buch der Tagebücher“
zugrunde lag, sich mit einer Auswahl beschäftigen müssen,
die ihn einfach nicht begeisterte.

Vielleicht war er aber auch ein nicht begeisterungsfähiger Mensch?

Diesen Eindruck kann man häufig bei Journalisten antreffen.
Warum das so ist, bleibt zunächst dahin gestellt.

Ich erinnerte mich an das „Tagebuch mit Menschen“ – also
Georg Stefan Trollers Buch „Personenbeschreibung“ –
welches man durchaus als Sternstunde des deutschsprachigen
Journalismus bezeichnen kann und es auch tun sollte.

So wohltuend sich abhebend von journalistischer Überheblichkeit,
von den alltäglich niedergeschriebenen Gedankenfürzen
bis hin zu intellektuellen Akrobatiken,
denen kaum ein Mensch noch folgen kann, noch will,
außer der Journalist selbst,
der einen hohen Wert auf Selbstbefriedigung legt.

Bei Troller ticken die Uhren anders, weil sie in seinem Leben
schon immer anders getickt haben,
als es der Mainstream hergibt, verlangt, predigt und feiert.

Aufgrund biografischer Erfahrungen mit deutscher Überheblichkeit
und Arroganz, ihnen gegenüber kritisch eingestellt und sich dennoch dem
deutschsprachigem Raum heimatlich verbunden gefühlt,
hatte er, hat er Vergleichswerte, die der gemeine Journalist
so in der Regel nicht hat.
Und das merkt man beim Lesen…

Hier also – in seinen Personenbeschreibungen zu finden –
eine Art Zusammenfließen von subjektiven und objektiven
Wahrnehmungen, die miteinander auf vielfältige Art und Weise
verbunden werden,
also eben nicht jene gern praktizierte Aufspaltung
zwischen Individualität und scheinbar objektivierbaren Fakten,
die der Darstellung komplizierter, komplexer Vorgänge nicht würdig ist.

Da der Durchschnittsjournalismus,​ der bis in höchsten Etagen reicht,
mit einer zweifelhaften Geistes- und Fingerfertigkeit solche Probleme
im Handumdrehen erledigt, ist die Lektüre von Georg Stefan Troller
eine wohltuende Abwechslung, kurativ, aber eben keine leichte Kost.
Dennoch nie unterschlagend, mit einer guten Prise Humor versehen,
inklusive Selbstironie, eine erhellende wie erheiternde Reise
durch ein reichhaltiges Leben.

So musste man eben entdecken wollen,
dann würde man auch entdecken…

Und an manchen Stellen dieser Reise würde man einfach
nur schweigen, weil das Dargestellte es so verlangt.

Aber dieser Forderung nachzukommen, erscheint in heutigen Zeiten
ungefähr so unmöglich, wie die Abschaffung des Privatfernsehens,
sofern es sich nicht selbst abschafft,
indem es immer mehr Verrückte produziert,
die eben nicht ihre Klappe halten können,
sondern sich berufen fühlen und vor allem berufen werden,
sich öffentlich – und das alltäglich – auszukotzen,
ohne kurativen Wert.

So dann auch die Frage an die vermeintlich Intellektuellen gestellt,
was sie gedenken zu tun,
angesichts dieser Lage, die man ohne zu übertreiben als
dramatisch bezeichnen darf, aber eben auf eine andere Art als
schon bekannt.

Man müsste also hineingehen ins Desaster, was nie schön ist.
Aber genau da gehört der Journalist hin,
wenn er oder sie – Aussagekraft entwickeln möchte.
An dieser Wegkreuzung kann sich kein Journalist vorbeimogeln,
ohne Schaden zu nehmen und Schaden zu verursachen.

Foto / Text: Stefan Dernbach ( LiteraTour )

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