Wärter im Museum Folkwang oder: Höchste Zeit für eine Frühwarnkultur im Kunstbetrieb

Ausgerechnet in Duisburg, der Stadt nahtlosen Mannesmann-Rohrs, sagte Oberbürgermeister Link im Sommer überraschend das Vorhaben einer begehbaren Röhrenskulptur ab. „Totlast“ hätte das sinistre Werk Gregor Schneiders heißen sollen. Dem OB (link-für-duisburg.de) schwante aber, Duisburg sei nach der Loveparade-Katastrophe „noch nicht reif für ein Kunstwerk, dem Verwirrungs- und Paniksituationen immanent sind und welches mit dem Moment der Orientierungslosigkeit spielt“. Verstörend-anakoluthe Sätze eines Kunstliebhabers und diplomierten Verwaltungswirts, der gern offen über das spricht, worüber er noch nachdenkt.

Blick aufs Musum Folkwang (Foto: Gerd Herholz)

Blick aufs Musum Folkwang (Foto: Gerd Herholz)

Aber vielleicht hat er irgendwie sogar Recht, der Link. Man sollte überhaupt viel mehr Kunst verbieten, zuallererst eben solche, die noch gar nicht zu sehen ist. Das wäre am einfachsten (außer in Duisburg) und man hätte oft das Schlimmste vermieden, bevor es einträte. Nebenan in Essen hinkt man da allerdings etwas hinterher. In der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 existiert leider immer noch real existierende Kunst. Umso wichtiger, dass das Folkwang-Museum jetzt seine Besucher endlich davor warnt, sich solche Kunst näher anzuschauen. Obwohl genau dieses Museum selbst sie ausstellt, im Rahmen seiner Schau „Monet, Gauguin, van Gogh – Inspiration Japan“. (Übrigens soll man „van Choch“ sagen und nicht „van Goch“. Jedenfalls spricht einem das Julia Roberts auf dem Audioguide so vor. Wie auch immer – ich könnte sowieso stundenlang nichts als Julias Hear-Alike hören, ohne mir auch nur ein einziges irritierendes Bild im Folkwang genauer anzusehen. Ich glaube, Sören Link wäre das recht.)

Ganz am Ende der „Inspirations“-Ausstellung findet sich ein kleines Kabinett mit dem schönen Titel: „Die Kunst ist niemals keusch“ – Picasso und der erotische Japonisme. An beiden Zugängen zum Kabinett warnt dann jedoch ein zweisprachiges Hinweisschild: „Einige Kunstwerke können aufgrund ihres erotischen Charakters irritierend wirken. The erotic nature of some works on display here may cause offence.“

Ich jedoch weiß wirklich nicht, was mich mehr offenzt. a) Die Tatsache, dass man im Ernst argwöhnt, heute eher harmlos wirkende Erotika könnten etwa jene über 12-Jährigen kopfscheu machen, die längst auf YouPorn surfen und ihre Nacktbilder online stellen. Oder b) die Gouvernanten-Haltung, die aufscheint hinter der Annahme musealer Sittenwächter, man müsse die Betrachter von Picasso-Radierungen und Japan-Farbholzschnitten schützen vor den mutmaßlichen Nebenwirkungen von Kunst. Mal ehrlich: Hält man den durchschnittlichen Besucher des Museums für psychisch gefährdet oder bloß für doof? IQ gerade über Zimmertemperatur?

Wahrscheinlich. Denn ich Idiot wähnte bis dato, Kunst solle genau dies auch: irritieren, subversiv sein, avantgardistisch, widerständig! In Essen aber taucht man die erotischen Kleinformate ins (durch eine Extra-Raumdecke) leicht abgedunkelte Licht von Raum 12 und hofft wohl, dass keiner sie dort findet. Ist aber nicht so. Gleich zwei gestandene Damen im Ulla-Popken-Übergrößen-Look waren gemeinsam mit mir im halbverschatteten Dark Room des Folkwang. Angesichts altjapanischer Ferkelei von Hokusai, Eishi oder Utamaro spöttelten sie bloß: „Die wussten damals auch schon, wie’s geht, nä?“ Und dann schlenderten sie vollkommen unirritiert weiter, einfach so. Ein Benehmen haben die Leute! Und erst die beiden amüsierten jüngeren Frauen, die um die Ecke bogen, als ich das Kabinettchen gerade verließ: „Hier trifft man die meisten Männer!“ Ich (auflachend): „Ne, ne, zählen Sie mal durch.“ Die Frauen (lachend): „Sorry.“

Warum auch künstlich aufregen. Auf den japanischen Farbholzschnitten sieht man Paare (+ Sonder-Konkubine) rund ums Vögeln – und es scheint ihnen halbwegs Spaß zu machen. Was nun aber mich etwas wundert. Denn die meisten stecken noch in voller Kimono-Montur – nackt nur die wuchtigen Geschlechtslandschaften – und so mancher Beischläfer scheint auch arg verrenkt. Vor allem aber sieht man für die verhältnismäßig kleinen – oder muss man politically correct sagen: vertikal herausgeforderten? – japanischen Menschen sehr prächtige Penisse und pralle Vaginen. Die Vaginen übrigens behaart – das allerdings könnte einen heute in der Tat sehr wundern, so kennt‘s kaum einer der Jüngeren mehr. Fazit: All das im Kleinen großartig, nicht aufdringlich, lebendig halt, voller Saft, Kraft, Farbe und gediegener Komposition.

Die Museumsleitung besteht aber nun einmal öffentlich darauf – hoffentlich nicht bedingt durch eigene Traumata –, präventiv dafür Sorge zu tragen, dass der labile Besucher keinerlei sexuellen Schaden nehme. Deshalb die beiden deutschenglischen Mini-Menetekel an der Wand, die allerdings – fahrlässig genug – auf anderssprachige Besucher keinerlei Rücksicht nehmen.

Und auch sonst werden Folkwangs nicht einmal ihrer eigenen Logik gerecht. Wenn sie schon Beipackzettel wider fahrlässigen Bildkonsum an die Wand pappen, dann bitte radikaler. An der Außenfront des Kunsttempels fehlen deutliche Mahnungen wie „Schauen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu“, oder „Erhöhter Pigmentgenuss in der Schwangerschaft gefährdet Ihr Kind!“ und ergänzend gleich: „Hier finden Sie Hilfe, wenn Sie Museumsbesuche aufgeben wollen. Tel.: …“

Außerdem müsste man jeweils Handicap-bezogene Banderolen direkt auf den Werken anbringen. „Diese Giacometti-Skulptur kann die Gefühle von Magersüchtigen verletzen.“ Auf einem Botero oder bei Stillleben mit Früchtetellern müsste man natürlich ganz anders argumentieren. Egon Schieles „Schwarzhaariges Mädchen mit hochgeschlagenem Rock“ könnte man an sehr geeigneter Stelle so überkleben: „Austherapierte! Überwunden geglaubte Neigungen können durch Anschauen dieses Werkes erneut auftreten“.

Ach, es gäbe noch so viel zu verkleben. Denken Sie nur an all jene, die heute überall bereitstehen, sich jederzeit ihre religiösen Gefühle verletzen  zu lassen. Ich sage nur: Salafisten! Die muss man auf jeden Fall vor Kunst schützen. Etwa vor Max Ernsts „Die Jungfrau züchtigt den Jesusknaben vor drei Zeugen“. Wie wär’s mit folgendem Hinweis: „Die prügelnde Madonna könnte aufgrund ihres gewalttätigen Charakters irritierend wirken. Maria/Maryam steht Ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach im Paradies als von höherer Stelle zertifizierte Jungfrau dennoch weiterhin zur Verfügung.“

Nicht nur im Folkwang-Museum also gäbe es alle Hände voll zu tun für eine politisch korrekte Frühwarnkultur im Kunstbetrieb. Ich persönlich träume darüber hinaus seit einigen Nächten von einer Art cleanem Wohlfühl-Museum – analog zu den staubfreien Produktionsstätten der Mikrochip-Hersteller. Politisch korrekte Kunst im sterilen Reinraum mit milbenfreiem Interieur, völlig irritations- und konfliktfrei. VolxWangAnWang-Museum. Das wär’s. Sogar für Allergiker.