Peter Høegs „Der Plan von der Abschaffung des Dunkels“ im Bochumer Schauspiel

Logo des Bochumer Schauspielhauses

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Was ist Zeit? Zeit ist zum Beispiel Rhythmus: Ein penetrantes Hämmern, ein ewiger Herzschlag. Wiederholung. Das kann beruhigen – oder in den Wahnsinn treiben. Eher letzteres ist der Fall in Peter Høegs Roman „Der Plan von der Abschaffung des Dunkels“ – eine vor 20 Jahren erschienene Außenseiter-Geschichte des dänischen Autors, der zuvor mit „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ einen internationalen Bestseller geschrieben hatte.

Im „Theater Unten“ des Schauspielhauses Bochum feierte nun eine Bühnenversion der Romanvorlage Premiere (Bearbeitung: Christiane Pohle, Miriam Ehlers). Martina van Boxen richtete das Stück für vier Schauspieler und einen Musiker ein.

Nach einer unglücklich zusammengekürzten Hörspielfassung lautete die spannende Frage: Gelingt es, den Stoff zu visualisieren? Denn die Geschichte um drei Jugendliche, die an einer Privatschule in den 1970er Jahren Teil eines reformpädagogisches Experiments werden, ist nur der eine, vordergründige Teil des Romans. Auf einer anderen Ebene erzählt er von Zeit und davon, was sie mit den Menschen macht. Tatsächlich gelingt der Inszenierung, was dem Hörspiel nicht glückt: Zeit hör- und spürbar, sogar sichtbar zu machen.

Das Waisenkind Peter (Damir Avdic) lebt nach einer typischen Heimkarriere in Biehls Privatschule, ebenso wie Katharina (Jessica Maria Garbe). Beide leiden am streng reglementierten Alltag. Aus der totalen Unmündigkeit sehen sie nur einen Ausweg: Sie versuchen, die undurchschaubaren Strukturen und Gesetze der Erwachsenenwelt zu durchblicken, den „geheimen Plan“ zu verstehen.

„Wenn man leistet, was man leisten soll, hebt die Zeit einen empor. Man soll an die Zeit glauben“, vermutet Peter. Man kann Zeit manipulieren, glaubt Katharina. Dann kommt der psychisch kranke August (Matthias Eberle) an die Schule. Warum wurde er aufgenommen? Und wieso haben die Lehrer ihre eigenen Kinder von der Schule genommen? Nach und nach entdecken die drei: August hat seine Eltern getötet und ist an der Schule in Sicherheitsverwahrung. Alle Schüler sind Teil eines integrativen Schulexperiments. „Wir wollten allen Kindern das Licht zeigen“, rechtfertigt sich Schulleiter Biehl am Ende mit humanistischen Idealen. Doch das Dunkel lässt sich nicht so einfach abschaffen.

Erzählt, gedeutet und kommentiert wird die Handlung vom erwachsenen Peter (Michael Habelitz). Damit hat die Inszenierung wie der Roman drei Zeitebenen: Erzähl-Gegenwart, erzählte Gegenwart und erzählte Vergangenheit.

Die Schule – das Schulsystem – ist auf Michael Habelitz’ Bühne eine Landschaft aus miteinander verbundenen Holzgerüsten, die als Klassenzimmer, Bett, Büro dienen – karg, roh, lebensfeindlich. In der Mitte sitzt ein Musiker (Manuel Loos), der der Inszenierung mit Schlagwerk und Elektro-Sounds Takt und Rhythmus gibt. Ständig ertönt ein Gong, rennen die Schauspieler von links nach rechts, repetieren in abgehackten, synchronen Gesten die von Disziplin geprägten Abläufe des Tages: schreiben, lesen, sich melden, Kopf aufstützen, zusammenpacken, weiter geht’s. Die Lehrer, sogar die Schulpsychologin kommunizieren ausschließlich via Megaphon mit den Schülern. Der Stress der Kinder überträgt sich nahtlos aufs Publikum.

Erholsam sind lediglich die kleinen Fluchtpunkte außerhalb der Taktung, wenn sich Peter und Katharina hinausschleichen, um dem Geheimnis der Schule auf die Spur zu kommen. Am Ende, kurz vor der Katastrophe, die die drei für immer auseinanderreißt, kuscheln sie sich aneinander und bilden eine Ersatz-Familie. Ein herzzerreißendes Bild.

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(Der Text erschien zuerst im Westfälischen Anzeiger, Hamm).