Betörend verstörend: Sibylle Bergs Roman „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“

Das bloße Handlungsgerippe ist rasch erzählt: Partnerin eines zunehmend erfolglosen Theaterregisseurs lernt beim Aufenthalt in einem namenlosen Land der „Dritten Welt“ knackigen jungen Mann kennen und vögelt sich mit ihm die Seele aus dem Leib. Daraus erwächst erbärmliches seelisches Leiden.

Entscheidend ist natürlich auch auf dem literarischen Platz, w i e davon erzählt wird. Sibylle Bergs neuer Roman „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“ ist in die mittlerweile weithin üblichen Kürzest-Kapitel gegliedert, die das geneigte Lesepublikum nicht durch absatzlose Längen überfordern. Es sind gleichsam lauter gereihte Kolumnen. Es scheint fast so, als wäre es ein niedrigschwelliges Angebot.

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Wie in einem steten Wechselgesang nimmt der Roman die gleichermaßen deprimierenden Perspektiven des bislang innig ineinander verwobenen, höchst durchschnittlichen Paares ein: Chloe und der deutsch-finnische Theatermann Rasmus führen Klage über ihr Dasein und den Zustand der Welt, sie kotzen sich vielfach buchstäblich aus. Onanistische Phantasien und alkoholische Exzesse grundieren ihren öde gewordenen Alltag. Und man ahnt bald: Sie sollen für nichts Besonderes stehen, sondern just für eine typische Form der landläufigen „Beziehung“.

„Der Sex, unsere Todeszone“

Diesem Roman zufolge ist ja auch in den mittleren Jahren alles ein Elend. Allmählich sind Chloe und Rasmus älter geworden – und da macht Sex schon mal grundsätzlich gar keine Freude mehr, wie es hier heißt. Beispiel Chloe: „Ich vermute, wir wollen nicht ficken; keiner, der zehn Jahre mit einem Menschen zusammen ist, will das, aber wir fügen uns…“ Beispiel Rasmus, noch etwas entschiedener: „Der Sex, unsere Todeszone. Niemandsland. Vermintes Gebiet.“

Freilich bleibt und wuchert die allzeit pornographisch angestachelte Gier des Körpers, die sich jedoch nur auf junges Fleisch richtet und nicht auf Runzeln und ranzige Ausdünstungen. Zitat: „Keiner braucht alte Menschen mit ihren Weisheiten. Die Jungen wünschen sich nur, dass die Alten verschwinden, und damit haben sie recht.“ Punktum.

Also sollte man das sinnlose Rumgezerre an welken Geschlechtsorganen vielleicht besser ganz bleiben lassen. Und folglich verfällt Chloe den leiblichen Lockungen des deutlich jüngeren Benny, der dem Paar hernach auch nach Deutschland folgt, durch alle Niederungen und Quälereien einer unmöglichen Ménage-à-trois samt sadomasochistischen und bisexuellen Dreingaben. Wie man das heute im Bann pornographischer Vorstellungen so imaginiert. Eher peinlich als prickelnd.

Verfall der Mittelschicht

Doch es geht ja nicht nur um persönliche Befindlichkeiten. Rings um das besagte Dreieck wird in etlichen Bruchstücken der generelle Verfall der weißen europäischen Mittelschicht und ihrer mentalen Restbestände flott skizziert. Rasmus, mit einem wohlmeinenden, jedoch desolaten Theaterprojekt in der „Dritten Welt“ (sprich: schäbige Touristenhölle mit Prostitution und Drogen) betraut, bekommt zu spüren, dass die Probanden sich nur für das Bier interessieren, das es nach den Proben gibt. Wie denn überhaupt das ganze politisch korrekte Geseier sich erübrigt hat.

Sibylle Berg müht sich nach Kräften um größtmögliche Illusionslosigkeit. Es ist, als ob sie sich angestrengt den bösen, bösen Blick abverlangte, weil ihre Leser(innen) das von ihr genau so haben wollen. Reden Sie uns das Leben bitte richtig schön schlecht, Frau Sibylle. Aber bitte hin und wieder im launigen Tonfall, so dass es beinahe unterhaltsam und gefällig klingt. Betörend verstörend, sozusagen.

Doch das ganze Lamento fügt sich insgesamt etwas zu geläufig und virtuos, wo es doch auch öfter ins Stocken oder an den Rand des Verstummens geraten müsste.

Sibylle Bergs Befunde sind keineswegs unsinnig, aber auch nicht sonderlich originell. Doch Sätze wie „Wir wollen ficken, weil wir nicht sterben wollen“ sind ja so verdammt cool.

Schluss mit der Idiotie!

Und solche Ausrufe hören sich wie ein Gegenentwurf (oder auch „Aufschrei“) zu den unsäglichen „Fifty Shades of Grey“ an: „All das Zeug von Gasmasken, Peitschen, Kleppermänteln, mit dem Leute versuchen, Sex mit einer Bedeutung aufzuladen, die er nicht hat…wählt zwischen achthundert filigranen Peitschen, ihr Idioten, Sex wird nie mehr als Sex sein…“

Chloe und Rasmus taumeln unterdessen völlig ratlos durch die verdämmernden Tage. Taugliche Erklärungen gibt es nicht. Alles steht im Zeichen der Nichtigkeit und Vergänglichkeit. Am besten wär’s, denkt Chloe, die Leute würden aufhören mit dem Sex – und einfach etwas anderes tun. Dabei werden abermals die (wir?) Schwachsinnigen angesprochen: „…warum schreibt ihr keinen historischen Roman, ihr Idioten, rettet Kinder in Erdbebengebieten oder schließt euch einer Urban-Gardening-Gruppe an.“ Na, wie wär’s?

Sibylle Berg: „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“. Roman. Hanser Verlag. 256 Seiten. 19,90 Euro.