„Green City“: Kunstschau erkundet die versehrte Stadtlandschaft des Ruhrgebiets

Werner Graeff: "Skizzen zur farbigen Gestaltung des Ruhrlandes", 1952 (© Museum Wiesbaden, Schenkung Ursula Graeff-Hirsch, Foto Museum Wiesbaden)

Werner Graeff: „Skizzen zur farbigen Gestaltung des Ruhrlandes“, 1952 (© Museum Wiesbaden, Schenkung Ursula Graeff-Hirsch, Foto Museum Wiesbaden)

Ja, wo leben wir denn? Hier im Revier. Und was heißt das? Um mal ein doch recht treffliches Wortspiel zu wagen: Wir leben in einer ebenso extrem vernetzten wie verletzten Stadtlandschaft.

Eine Kunstausstellung in Oberhausen geht nun den Spuren nach, welche sich in die (allemal manipulierte, künstlich her- und zugerichtete) Landschaft eingezeichnet oder auch eingegraben haben. Diese Strukturen definieren geradezu das Ruhrgebiet. Wo sie sich verflüchtigen, hört auch das Ruhrgebiet auf. Nur ganz allmählich ändert sich diese Zuschreibung, allem Strukturwandel zum Trotz.

„Green City“ heißt die Schau in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen. Gemeint ist keine einzelne Kommune, sondern die weitläufige, in sich schier grenzenlose Stadtlandschaft der Region. Hat der Titel seine Berechtigung? Tatsächlich ist Grün im Ruhrgebiet in vielerlei Bestands- und Schwundstufen vorhanden. An manchen Ecken und Enden erobern sich Pflanzen sogar ihr Revier zurück. So begünstigt hie und da industrieller Verfall ein neues, ganz anderes Wachstum.

Apropos „Green City“ und Ökologie: Schirmherr der Ausstellung ist NRW-Umweltminister Johannes Remmel, und der ist nun mal bei den „Grünen“. Nebenbei: Als Sponsor tritt u.a. eine Stiftung des Energieriesen RWE in Erscheinung.

Luftbild von Rita Rohlfing: "moments", 21. Juni 2014, 2014-2015 (© Rita Rohlfing, VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Luftbild von Rita Rohlfing: „moments“, 21. Juni 2014, 2014-2015 (© Rita Rohlfing, VG Bild-Kunst, Bonn 2015)

Es herrscht eine insgesamt recht diffuse Gemengelange – und dieser verwirrende Eindruck teilt sich auch beim Rundgang durch die Ausstellung mit. Klärung darf man wohl nicht verlangen. Das Etikett „Green“ bezieht sich nicht zuletzt auf die Sehnsucht der Menschen nach intakten Naturzusammenhängen. Doch ist es hier nicht selten als Negation oder Ironie zu verstehen, denn „natürlich“ thematisieren etliche Künstler in erster Linie die versehrte Landschaft, deren klaffende Wunden zumal auf Luftbildern erkennbar sind, besonders eindrucksvoll in Rita Rohlfings Serie „moments“ von 2014/15.

Gleich 64 Künstlerinnen und Künstler werden zur Bestandsaufnahme aufgeboten, viele davon noch recht unbekannt. Die Ausstellung, kuratiert von Nina Dunkmann, verficht keine erkennbare These, sie versammelt vielmehr eine Unzahl von gegenwärtigen „Positionen“, wie man es so gängig nennt. Mögliches Motto älterer Lesart: Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen.

Axel Braun: "Und wer in diesen Bannkreis tritt, wird vom Geist der neuen Zeit ergriffen" (Detail), 2014 (© Axel Braun)

Axel Braun: „Und wer in diesen Bannkreis tritt, wird vom Geist der neuen Zeit ergriffen“ (Detail), 2014 (© Axel Braun)

Das Ruhrgebiet wird – extremer als die meisten anderen Gegenden Deutschlands – durchzogen und zerschnitten, doch eben auch innig verbunden von Straßen, Schienen, Kanälen, Energie-Trassen und Brücken, die sich zu komplexen Netzen summieren. So viele Schneisen, solch ein Geflecht und Dickicht. Somit gerät übrigens schon die Anfahrt nach Oberhausen zur stadtlandschaftlichen Einstimmung. Die Ausstellung wiederum gliedert sich (nicht immer lupenrein) in Kapitel, die z. B. Straßen, Wasserwegen oder Energie gewidmet sind.

Zeitgeschichtlich betrachtet, beginnt der Reigen 1952. Damals, als das rußige Ruhrgebiet Grau in Grau gerade erst wieder erstanden war, setzte der Maler Werner Graeff farbige Akzente in die ansonsten düstere Industriekulisse, als wär’s eine frühe Vision der heute so beliebten „Landmarken“ gewesen.

Hendrik Lietmann: Foto aus der Serie "Das Rohrgebiet", 2009 (© Hendrik Lietmann)

Hendrik Lietmann: Foto aus der Serie „Das Rohrgebiet“, 2009 (© Hendrik Lietmann)

Über die Gruppe „B 1“, die sich gegen Ende der 1960er Jahre schon im Namen auf die zentrale Strecke des Ruhrgebiets bezog und Stadträume neu zu deuten suchte, und eine Figur wie wie HA Schult, der 1978 eine künstlerische Ruhr-Tour durch die Region unternommen hat, spult die Ausstellung sehr rasch in die heutige Zeit vor.

Gewiss: Da gibt es auch ein paar lässliche oder gar alberne Zugriffe aufs Thema (sehet selbst), doch auch originelle und erhellende Kreationen wie etwa Klaus Dauvens „Putzlappenzeichnungen mit Naturmotiven“, Eva Ketzers transportables und auf schrill-komische Weise falsches Naturidyll „Naherholung“ oder Johannes Jensens frech-fröhliche Ausrufung eines Kompostaates (Kompost-Staates) mit eigener Botschaft, Flagge und allem sonstigen Drum und Dran. Einen poetischen Zugang eröffnet Nikola Dickes Arbeit „Der verborgene Garten“. Und Hendrik Lietmann tauft kurzerhand gleich die ganze Region um: Seine Fotoserie „Das Rohrgebiet“ zeigt das chaotisch wuchernde System der Rohrleitungen rings um Garten- und Kleingarten-Areale.

Sebastian Mölleken: "Kuh unter der A 40", 2009 (© Sebastian Mölleken)

Sebastian Mölleken: „Kuh unter der A 40″, 2009 (© Sebastian Mölleken)

Stellenweise wird deutlich, wie sich die künstlerische Wahrnehmung des Reviers mittlerweile in verschiedenen Zeitschichten gleichsam abgelagert hat, aber eben auch aufgefrischt werden kann. So reagiert etwa der Künstler Axel Braun explizit auf die anfangs so umstrittenen, monumentalen Landmarken eines Richard Serra („Terminal“ in Bochum, Bramme auf der Schurenbachhalde in Essen-Altenessen), und zwar mit großem Respekt, aber nicht in erstarrender Ehrfurcht, sondern auch mit kritischen Untertönen; wie denn überhaupt das Revier jetzt aus anderen Distanzen und mit anderen Ansprüchen vermessen wird als ehedem.

Selbst Stätten, die man zu kennen meint, wirken im Kontext dieser Ausstellung verfremdet, so dass sich der Blick womöglich weitet. Hier kann man (auf einer imposanten Fotografie von Matthias Koch) noch einmal sehen, wie die heftig umgepflügte Landschaft aussah, nachdem das einstige Hoesch-Stahlwerk verschwunden war und bevor dort der Dortmunder Phoenixsee entstanden ist. Hier kann man auch noch einmal Zustände der brutal schnurgeraden und der renaturierten Emscher vergleichen.

Manch eine dieser Zeit- und Ortsbestimmungen lässt innehalten: Welch ein Wandel liegt da hinter uns! Und was steht noch bevor?

„Green City. Geformte Landschaft – Vernetzte Natur. Das Ruhrgebiet in der Kunst“. Ludwiggalerie Schloss Oberhausen (Konrad-Adenauer-Allee 46). Eröffnung am Samstag, 9. Mai 2015, 19 Uhr. — Bis 13. September 2015, Öffnungszeiten Di bis So 11-18 Uhr. Mo geschlossen, aber Pfingstmontag (25. Mai) geöffnet. Eintritt 8 Euro, ermäßigt 4 Euro. Katalog 29,80 Euro. Reichhaltiges Führungs- und Begleitprogramm. Info-Telefon: 0208/41 249 28. www.ludwiggalerie.de

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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