Wenn markante Gebäude nicht mehr ohne Weiteres fotografiert werden dürfen…

Ich behaupte ja gern mal, dass manchen Politikern von Berlin bis Brüssel ein gewisser Hang zur realitätsfernen Naivität nicht abgesprochen werden kann. Bei Kommissären der Europäischen Union ist das nicht anders – oder sogar noch ausgeprägter? Ein Urheberrecht ist nicht nur eine feine und absolut zu befürwortende Sache, gerade in Zeiten der Weltweitnutzung von Bildern via facebook und anderer sozialer Netzwerke. Aber man kann bei Anpassungen dieser Rechtsvorschriften an aktuelle Medialität auch derartig übers Ziel hinaus schießen, dass es absurd wird.

Künftig ein urheberrechtlich geschütztes Panorama? Dortmunder Innenstadt mit Bibliothek und RWE Tower. (Foto vom 29.10.2010 - Bernd Berke)

Künftig ein urheberrechtlich geschütztes Panorama? Dortmunder Innenstadt mit Bibliothek und RWE Tower. (Foto vom 29.10.2010 – Bernd Berke)

Angenommen, nur mal angenommen, die in Deutschland übliche „Panoramafreiheit“ würde aufgrund der EU-diskutierten Vorschriftsänderung fallen, dann wird es aber kritisch für jeden, der gern fotografiert und schon gar für alle, die das hauptberuflich unternehmen. Alle urheberrechtlich geschützten Fassaden neuerer Provenienz, jede urheberrechtlich geschützte achitektonische Leistung innerhalb eines Stadtgebildes, jede Beleuchtungsinstallation, die einen solchen Schutz für sich in Anspruch nehmen kann, birgt dann Abmahn-Gefahren ohne Ende. Die einschlägigen Kanzleien würden entzückt sein und eigene Abteilungen einrichten, die das Netz nach „Sündenfällen“ absuchen und flugs strafbewehrte Forderungen an jegliche Übertreter solcher Vorschriften versenden.

Auch bei Selfies wäre dann Vorsicht geboten. Schon heute gilt das beim Eiffelturm (Frankreich kennt keine Panoramafreiheit). Grinst man urlaubsfröhlich in die Linse und hat die ehrwürdige Stahlkonstruktion im Hintergrund, ist das tagsüber unproblematisch. Macht man das aber bei Nacht, wird’s kritisch. Denn die aktuelle Erleuchtung der Tour Eiffel ist nicht etwa seit dem 31. März 1889 (Eröffnungstag zur Pariser Weltausstellung) an Gustav Eiffels epochalem Werk installiert, sondern erst seit 2008. Wenn man solch ein Selfie dann postet, müssten streng genommen Gebühren an die Betreibergesellschaft SETE gezahlt werden.

Setzte sich die EU mit dieser schrägen Nummer durch, wäre dies eine praktische Folge: Das Foto mit der Dortmunder Reinoldikirche im Hintergrund stellt kein Problem dar. Wäre aber beispielsweise die Landesbibliothek im Vordergrund zu sehen, könnte Unbill drohen. „Die Zentralbibliothek der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund, ein markantes Gebäude aus der Ideenwerkstatt des Schweizer Architekten Mario Botta, ist ein architektonisches Ereignis, ein Blickfang und ein ,Tor zur Stadt‘.“ So steht es im Webauftritt der Stadt Dortmund. Und in der Schweiz könnte man Urheberrechte vermuten.

Also, Finger weg in Bälde von Bildern mit solchen „Eingangstoren“ in eine Stadt. Sobald eine wirtschaftliche Nutzung aus dem Ablichten von dessen Formen resultiert, träte das Urheberrecht auf den Plan. Und da man mit dem Posten auf facebook jedes Nutzungsrecht an Mister Zuckerman abtritt… Auch das Atomium in Brüssel ist geschützt, das Guggenheim-Museum in Bilbao, das Empire State Building in New York, der Louvre in Paris – nur ein paar Exempel, an denen Urheberrechtsinhaber ein solches statuieren könnten.

Vielleicht gesellen sich nächstens zahllose neue Stätten dazu. Ich überlege, ob ich schnell mal Gebrauchsmusterschutz auf Klohäuschen mit eingesägtem Herzchen anmelde. Oder auf Fotografien, die ich von Schlaglöchern auf bundesdeutschen Straßen gemacht habe. Ehe mir da jemand zuvor kommt und mir Chancen nimmt, all‘ die Abmahnverfahren der Zukunft bezahlbar zu halten.

Aber mal im Ernst, ich frage mal so ganz naiv: Wie wird die Welt zukünftig davon erfahren, dass es großartige Gebäudearchitektur gibt, wenn sich keiner mehr traut, Bilder von ihr zu veröffentlichen? Nur aus autorisierten Katalogen?