RuhrTriennale: „Nomanslanding“ im Duisburger Hafen überwindet alles Trennende

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Sie kommt genau auf uns zu: Die andere Hälfte von „Nomanslanding“ (Foto: rp)

Auf den ersten Blick wirkt das Ganze wenig spektakulär. Zwei halbierte Rieseneierschalen stehen da irgendwie auf dem Wasser und erinnern an Konzertmuscheln, was aber keinen Sinn ergibt, weil sie sich ja gegenüber stehen und deshalb kein Publikum beschallen können. Stege führen ans Ufer. Die Installation, um eine solche handelt es sich also offenbar, befindet sich im „Eisenbahnbassin“, einem Hafenbecken in Duisburg Ruhrort, das früher einmal der Eisenbahnhafen war und heute mehr oder weniger funktionslos ist. Hier steht das Wasser sehr still, was ein Grund gewesen sein mag, „Nomanslanding“ hier aufzubauen.

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Installation im Duisburger Eisenbahnbassin. Ab und zu schaut ein Ausflugsboot vorbei. (Foto: rp)

„Nomanslanding“ heißt das Gebilde, für das sich eine deutsche Übersetzung nicht eben aufdrängt. „Niemandes Landung“ vielleicht, „keines Menschen Landung“? Jedenfalls sind die beiden Rieseneierschalen im Duisburger Hafen neben Joop van Lieshouts phantasievollem Siedlungsgewürfel vor der Bochumer Jahrhunderthalle die bedeutendste skulpturale Arbeit der diesjährigen Ruhrtriennale. Der Begriff Skulptur indes hilft dem Verständnis nur begrenzt. Vor allem nämlich funktioniert „Nomanslanding“ als Inszenierung.

Und die läuft so ab: Bevor das Publikum sich (abgezählt und sicherheitstechnisch instruiert) über die beiden Stege zu den Muscheln begibt, wird es mit Schwimmwesten ausgestattet, muß es die Teilnahmebedingungen unterschreiben. Dann wird man im Rund der Halbkugel auf einer Sitzbank plaziert – und gewahrt kurze Zeit später fast zufällig, daß sich die eigene Halbkugel auf die andere zu bewegt. Aus einem unsichtbar bleibenden Soundsystem sind derweil Kriegsklänge und vielsprachige Textzeilen zu hören. Immer näher kommt die eine Halbkugel der anderen, schließlich berühren sie einander, es wird dunkel, der Soundtrack bleibt bedrohlich.

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Schwimmwesten sind für den Besuch der beiden Muscheln vorgeschrieben. Sie machen ein etwas mulmiges Gefühl. (Foto: rp)

Klagender Gesang ertönt, nach einer weiteren Kunstpause wird es heller im runden Raum, schließlich ergeht die Aufforderung die Hälften zu tauschen. Und nicht unberührt verläßt man das Geschehen, das kaum 30 Minuten dauerte, durch die Halbkugel von gegenüber.

Breit ist der Fundus an Metaphorik, der zur Deutung bereitsteht. An die Überquerung des Flusses Styx ist zu denken, der die Welt der Toten von der der Lebenden trennt, und wenn einem außerdem noch afrikanische Flüchtlingsboote und die dazugehörigen Katastrophennachrichten einfallen, liegt man sicher auch nicht falsch.

Indes, der teilnehmende Künstler Andre Dekker hebt es in seinen Erläuterungen zum Werk ausdrücklich hervor, ist der Bezug ein Gutstück konkreter. Die Arbeit bezieht sich auf den Ersten Weltkrieg, der 1914 ausbrach, will indes nicht Anklage sein, sondern Klage, will der Trauer um die vielen Todesopfer Raum geben. „Ein Klagelied, vielleicht auch ein Wiegenlied“, sagt Dekker. Nämlich dann, wenn aus der traurigen Gewißheit des Geschehenen die vergewissernde Geborgenheit des „Nie wieder!“ sich formt. Sinnliche Symbolhaftigkeit, wenn man so will – und sei es auch nur die Querung von etwas Wasser in einem Duisburger Hafenbecken.

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Gleich wird es duster. Die beiden Hälften stoßen aneinander. (Foto: rp)

Als die Arbeit 2014 zum ersten Mal in Sydney installiert wurde, jährte sich der Beginn des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal. Das war auch für die Australier ein wichtiges historisches Datum, denn als Teil des Commonwealth hatte das Land auf britischer Seite an dem Krieg teilgenommen und hohe Verluste erlitten. Die Duisburger Zweitverwertung 2015 muß nun leider ohne runde Jahreszahl auskommen, und Glasgow im kommenden Jahr (die dritte Station) erst recht. Da kann man sich schon mal fragen, ob der erhebliche Aufwand gerechtfertigt ist. Die Antwort fällt nicht leicht.

Jedenfalls hat der Duisburger Hafen bis zum 13. September eine Attraktion zusätzlich zu bieten, und der Eintritt ist frei. Allerdings bleiben Zweifel, ob die komplizierte Besichtigungsprozedur mit großer Nachfrage, vor allem an Wochenenden, fertig wird. Und ob die alles in allem doch recht komplexe Technik bis zum Ende durchhält und kein Vandalismusopfer wird. Aber man soll nicht unken. Halten wir es mit Kaiser Franz und schau’n wir mal.

Noch ein paar Fakten: Die Künstlerinnen und Künstler, die sich „Nomanslanding“ ausgedacht haben, sind Robyn Backen (Australien), Andre Dekker (Niederlande), Graham Eatough (Großbritannien), Nigel Helyer und Jennifer Turpin (beide Australien).

  • Die Adresse ist Duisburg, „Am Eisenbahnbassin“, Autoparkplätze sind rar.
  • Geöffnet bis 13. September tgl. 13 bis 23 Uhr, Eintritt frei, „wetterfeste Kleidung empfohlen“.
  • Mehr Informationen: www.ruhrtriennale.de, www.urbanekuensteruhr.de

 

 

Zwei Strophen des Klageliedes, dem Programmzettel entnommen:

Verse 1

We will meet you at the river

We’ll draw closer on the tide

You can hear us in the water

From the shore to the other side

 

Verse 2

All our lives brought here together

To flow before your eyes

At last on Nomanslanding

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