Unter Kriminellen – Johan Simons inszeniert „Das Rheingold“ bei der Ruhrtriennale

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Über dem Orchester schwebt Walhall, Amtssitz von Götterchef Wotan. Doch die Baufinanzierung bereitet Probleme. (Foto: Ruhrtriennale/ Michael Kneffel)

Bochum. Als bekannt wurde, daß Johan Simons sich gleich in seiner ersten Triennale-Spielzeit an Wagners Oper „Das Rheingold“ wagen würde, ging ein Raunen durch die Reihen. Simons galt bis dato nicht unbedingt als Opern-Experte.

Doch wer so flockig wie Simons mit spröden Jelinek-Stoffen umzugehen weiß, der kann wahrscheinlich auch Wagner. Nun ist „Das Rheingold“ einige Male über die Bühne der Bochumer Jahrhunderthalle gegangen, und man kommt nicht umhin, dem Theatermann aus den Niederlanden zu bestätigen, daß er seine Arbeit wirklich gut gemacht hat.

Ein wenig Gigantomanie

Vieles an der Produktion ist gigantisch: Der wuchtige Klangkörper von MusicAeterna aus Perm im Ural mit Teodor Currentzis am Dirigentenpult, der seine Musiker aufstehen läßt, wenn sie maximalen Schalldruck erzeugen müssen; die Jahrhunderthalle selbst natürlich, aber ebenso auch das Bühnenbild von Bettina Pommer, das von einer über alles sich erhebenden weißen Schloßfassade dominiert wird, die in die Jahrhunderthalle paßt wie vor hundert Jahren schon eingeplant. Nun neigen, wie man hört, Wagner-Inszenierungen immer wieder einmal zu einer gewissen Gigantomanie, so daß diese in Bochum für sich genommen damit noch nichts Besonderes wäre.

Simons und Wagner passen gut zueinander

Was aber wirklich unerhört ist (und jemanden in die Tasten greifen läßt, der sich sonst eher im Sprechtheater zu Hause fühlt), ist die unglaubliche Konvergenz von Wagners Kunst und dem Inszenierungsstil Johan Simons, der seine Herkunft vom Straßentheater weder verleugnen kann noch will. Seine Methode, die durch grelle Überzeichnungen der Akteure geprägt ist, wendet er auch hier an, und sie funktioniert prächtig. Das hier ist Oper, aber ebenso ist es Schauspiel. Unvergeßlich bleibt Leigh Melrose, der den Alberich gibt, den notgeilen, frustrierten und leider auch ein bißchen blöden Nibelungenfürsten. Sogar ohne Gesang wäre Melrose ein Erlebnis mit seiner sorgfältigen Rollenzeichnung und seinem athletischen, präsenten Spiel. Und wie er vor, während und nach wüsten Raufereien mit den Rheintöchtern, mit Wotan (Mika Kares) oder mit Loge (Peter Bronder) noch so wundervoll singen kann, ist geradezu unbegreiflich.

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Die Rheintöchter heißen Woglinde, Wellgunde und Floßhilde (Anna Patalong, Dorottya Láng und Jurgita Adamonyté). und sie necken Alberich (Leigh Melrose), der sich an Gummipuppen anbarbeitet. (Foto: Ruhrtriennale/JU/Julian Röder)

Kohlenpott-Metapher

Während das sinnbildhafte Oben des Stoffes von der weißen Schloßfassade symbolisiert wird, läßt der Urgrund, wo die Nibelungen in ewiger Nacht hausen, ein Bergwerk assoziieren. Nicht Rheingold, sondern schwarzes Gold wird hier gewonnen, die üblich Kohlenpott-Metapher. Und da Alberich nun im Besitz des goldenen Ringes und einer geilen Tarnkappe ist, kann er mit schier unermeßlicher Macht viel Böses anrichten.

Die Ordnung der Welt bricht zusammen, in einem (insgesamt gesehen etwas schwachen) Intermezzo mit Gesellschaftskritik aus dem Megaphon verlassen viele Musiker die Bühne, weil sie’s irgendwie leid sind, erheben sich auch die Zuschauer links und rechts vom Bühnengeschehen, um dem Elend nicht weiter beiwohnen zu müssen. Hallo, liebe Frau Kritikerin von einer bedeutenden überregionalen Tageszeitung: Das sind Statisten! Das gehört zum Stühück! Das ist Absicht! Und deshalb geht es nach einigen Minuten auch mit Wagner wieder weiter, und alle Zuschauer sind wieder auf ihren Plätzen. Und die Musiker auch.

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Blick aus der Vogelperspektive auf das zerklüftete Bühnenbild von Bettina Pommer (Foto: Ruhrtriennale/JU/Julian Röder)

Ungeklärte Baufinanzierung

Spätestens mit diesem Zwischenspiel werden zwei konkurrierende erzählerische Linien erkennbar, die letztlich nicht verwoben sind. Da ist zum einen die globale Kapitalismuskritik (wenn es denn eine war) im kühnen Break, da ist zum anderen eine veritable Krimihandlung, die sehr viel stärker überzeugt. Trefflich ließe sich darüber streiten, wer in dieser wüsten Fantasy-Handlung der größte Schurke ist. Nichts Göttliches gibt es hier zu sehen, eher schon eine Parabel krimineller Inkompetenz.

Der Plot, mit Verlaub, ist irre: Obergott Wotan hat sich von den Riesen Fasolt und Fafner (Frank van Hove und Peter Lobert, beide ganz toll) die Götterresidenz Walhall errichten lassen, ohne auch nur einen Gedanken an die Baufinanzierung zu verschwenden. Sein alter Kumpel Loge hatte angedeutet, daß ihm schon irgendetwas einfallen würde, um sich vor der Zahlung zu drücken. Als Sicherheit dient den Riesen einstweilen Wotans Schwägerin Freia, die in nuttigem Outfit auf der Terrasse steht und immer deutlicher spürt, daß die Sache übel ausgehen wird.

Schließlich kommt Loge, doch eine Idee hat er nicht, außer eben, dem Nibelungen den Schatz abzutricksen. Was schließlich auch gelingt. Und das ist eigentlich eine Geschichte aus dem Luden-Milieu, wo Frauen geldwert hin und her verschoben werden. Hier haben alle Dreck am Stecken und zumindest einer (Alberich) sinnt auf Rache – so ein Mafia-Film schreit nach Fortsetzung.

Der Gesang der  Rheintöchter, einfach nur schön

Das Niederträchtige in dieser Handlung hat Johan Simons deutlich herausgearbeitet. Fast könnte man meinen, er und Wagner hätten sich vorher zusammengesetzt und das alles, stilvoll bei einigen Flaschen Rheingau-Riesling, zusammen ausbaldowert.

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Freia (Agneta Eichenholz, links) und Fricka (Maria Riccarda Wesseling) haben angesichts der Riesen kein gutes Gefühl. (Foto: Ruhrtriennale/JU/Julian Röder)

Der Stoff hätte auch noch brachialere Umsetzungen zugelassen; vermutlich, aber das ist eine Spekulation, hat sich Johan Simons zurückgehalten, um nicht der Schönheit der Musik zu schaden. Ach, der Gesang der Rheintöchter, fließend und schwerelos, nur schön. Woglinde, Wellgunde und Floßhilde heißen sie übrigens, gesungen werden sie von Anna Patalong, Dorottya Láng und Jurgita Adamonyté. Den übergrifflichen Raufereien mit dem geilen Alberich leihen sie übrigens nur ihre schönen Stimmen, während für das Physische täuschen echt gemachte Gummipuppen zur Verügung stehen (resp. liegen).

Bettina Pommers Bühne, eher eine dreigeteilte Pfütze als ein Strom, läßt im Wasser Reste einer Stuckdecke erahnen, und schief und tief baumelt ein Kristalllüster darüber. Hätte man es vorher nicht gelesen, käme man wohl nicht darauf, daß es sich hier um die Reste eingestürzter Altbauten handeln soll. This is the end, doch ein imaginiertes Ende mit dem Anbeginn der Welt, um das es vorgeblich im „Rheingolds“ geht, zu verknüpfen, ergibt nicht wirklich einen Sinn, ist höchstens dialektisch wertvoll.

Ein Fall von Wagner-Delir?

Man weiß manchmal ja auch gar nicht, ob Richard Wagner das alles so bierernst gemeint hat. Verfolgt man (mühelos, dank tadellos funktionierenden elektronischen Texttafeln in Deutsch und Englisch) das gnadenlos alliterierende Libretto in seiner altertümelnden Künstlichkeit, vermeint man manches Mal den Meister vom grünen Hügel augenzwinkernd vor sich zu sehen. Ist vielleicht auch nur Wagner-Delir; doch das soll sich ja erst nach der achten Stunde einstellen. Aber bei Ungeübten…?