Diktator im Dosenmüll: Theresia Walsers böse Hitler-Komödie in Düsseldorf

Wer hat sich nicht schon einmal darüber gewundert, wer alles Hitler spielt? Wie viele Filme und Bücher dem „großen Diktator“ gewidmet sind?

Sicher hängt das auch mit dem Trauma zusammen, dass eine ganze Gesellschaft sich verführen ließ und wieviel Unheil und Barbarei der Naziterror über die Welt gebracht hat.

Doch 70 Jahre nach Kriegsende ist eine humoristische Herangehensweise längst kein Tabu mehr: Gerade kletterte die Filmparodie „Er ist wieder da“ auf Platz 1 der Kinocharts. Im Düsseldorfer Schauspielhaus hatte jetzt eine kleine böse Komödie von Theresia Walser Premiere, in der drei Hitlerdarsteller über ihre Rolle diskutieren.

Foto: Sebastian Hoppe/Düsseldorfer Schauspielhaus

Foto: Sebastian Hoppe/Düsseldorfer Schauspielhaus

In „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ sitzen drei identisch gekleidete „Hitlers“ mit dem typischen Bärtchen auf einer großen Resopalplatte auf Ledersesseln in einer Art Warteraum, vielleicht vor einem Filmcasting. Vor ihnen türmt sich ein Haufen ausgetrunkener Mineralwasserblechdosen auf. Wollen die Hitlers einmal einen Schritt tun, müssen sie sich durch den Dosenberg pflügen, dass es rauscht.

Seine geniale Komik entfaltet dieses Bühnenbild (Pia Maria Mackert) aber erst, als die Plattform beginnt, sich zu bewegen. Das korrespondiert mit dem Stücktext, in dem öfter ein wackeliger Tisch thematisiert wird, und gibt der Inszenierung (Marcus Lobbes) einen Dreh ins Slapstickhafte. Denn wenn der Boden wackelt, gerät auch der Müllberg in Bewegung und die Dosen kullern und scheppern bis in den Zuschauerraum. Die drei Hitlers haben Mühe, sich auf ihrer Spielfläche zu halten und klammern sich am Mobiliar fest, was sie einmal mehr zu Karikaturen der Karikatur von Adolf werden lässt.

In der Vorhölle gefangen

Ihr Gespräch kreist dabei hauptsächlich um Schauspielereitelkeiten und Nöte: Soll und darf man den Hitler naturalistisch anlegen wie H1 (Jonas Gruber)? Oder macht sich moralisch angreifbar, wer ihn als einen Menschen darstellt, wie H2 (Heisam Abbas) findet? Er legt Wert darauf, „seinen Hitler“ aus der Distanz heraus zu spielen. Ganz anders sieht das G (Andreas Helgi Schmidt), der überhaupt noch nie den Hitler gespielt hat, sondern bisher nur Goebbels. Er hat aus Göttingen, wo er in seinem derzeitigem Engagement nackt auf der Bühne kniend Abend für Abend mit den Zähnen die Seiten aus dem Koran reißen muss, ganz moderne, gesellschaftskritische Regie-Ideen mitgebracht: Warum Hitler nicht auf sieben Schauspieler aufteilen, für jede Facette des Bösen einen? Vielleicht mit Video-Einspielungen? Für H1 ist das eine neumodische Horrorvorstellung. Gereizt verlangt er, der in seinem Habitus ein wenig an Bruno Ganz erinnert, nach einem „Hahnenwasser“, hierzulande würde man sagen „Kranenburger“ – doch das wird nie gebracht.

Überhaupt beginnt das Casting oder Vorsprechen oder die Talk Show im ganzen Stück nicht mehr. Die drei Hitlers sind unrettbar in der Vorhölle gefangen, in Erwartung, den Teufel selbst darzustellen. Doch es will gar niemand ihren Teufel sehen. So endet die Farce wie bei Beckett im Wartestand auf etwas, das nicht eintritt: In diesem Falle, weil es ja schon vergangen ist…

Karten und Termine:
www.duesseldorfer-schauspielhaus.de

 

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