Philosoph des Metal: Zum Tod von Lemmy Kilmister

Als ich Lemmy Kilmister und Motörhead zum ersten Mal hörte, klapperte es in meiner eustachischen Röhre noch tagelang und ich rätselte, ob es am Nachbeben des Steigbügels lag oder schlicht der damals noch unter Ohrklingeln bekannte Tinnitus war. Lemmys Vorbild Paul McCartney war eindeutig melodiöser, fand ich, neigte nicht zu hastiger Wiederholung des Hörgenusses – oder war’s eigentlich eher chinesische Geräuschfolter?

Lemmy Kilmister 2006 (Foto: Wikipedia/Alejandro Páez = Molcatron on Flickr)

Lemmy Kilmister 2006 (Foto: Wikipedia/Alejandro Páez = Molcatron on Flickr) – Link zur Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/)

Dann hatte ich jahrzehntelang Motörhead und ihren von Fibromen gezierten Bassisten und Frontman vergessen. Ich wusste zwar von beider Existenz, aber verweigerte ihnen meine Wahrnehmung. Bis ich ein Interview mit Ian Frazer Kilmister, dem Sohn eines Feldkaplans der Royal Air Force und einer Bibliothekarin auf Stoke-on-Trent in Staffordshire sah.

Seit ich hörte, wie der Mann dachte, was ihn bewegte, wie er zu seinen beiden Söhnen stand (mit Paul hatte er die engste Beziehung, trat sogar mal gemeinsam mit Motörhead auf), war der hinfällig wirkende Mann, dessen Gesichtslandschaft der üppige Konsum von Zigaretten und Drugs vielgestaltiger Art anzusehen war, war er für mich der Philosoph des Metal.

Metallica platzte vor Stolz, als sie mal mit Lemmy jammten. Ozzy Osborne sang Handgeschriebenes von Lemmy, Wackens Kult-Festival schmückte sich mit dem Altvater des Metal. Verstärkerhersteller Marshall berief sich auf ihn, als er Produkte wie den 1992LEM auf den Markt brachte. Der dröhnende Bass wurde seit Einstieg bei seiner Band Hawkwind ständiger musikalischer Begleiter von Lemmys rauchgeschwärzter Stimme (Jack Daniels und Glimmstengel), er liebte die Instrumente der Firma Rickenbacker, die er stets Rickenbastard nannte. Allerdings spielte er sie wie ein Rhythmus-Gitarrist.

Religionen, Ideologien, welterklärende Gedankenmodelle jeglicher Art waren ihm zuwider, was Lemmy auch in vielen Texten zum Ausdruck brachte. Umwerfend trocken seine Glaubenskritik: „Eine Jungfrau wird von einem Geist geschwängert? Come on! …“

Wie es zu seinem eigentümlichen Sammeltrieb in Sachen Nazi-Devotionalien kam, ist unklar, dass er mit dem der Ideologie hinterliegenden Schwachsinn nichts am Hut habe, versicherte er immer wieder, obwohl der Stetson, den er ständig trug, von einem Eisernen Kreuz verziert wurde.

Als mir Lemmy Kilmister und Motörhead zum ersten Male den Weg kreuzten, hätte ich nie gedacht, dass der Bassist und Sänger mal 70 Jahre alt werden würde, stopfte er seine Hülle doch voll mit allem, was schädlich sein konnte. Doch überraschte mich sein Tod nun umso mehr, weil ich annahm, dass Ian Frazer Kilmister, seit seiner Schulzeit „Lemmy“ genannt, auf der Bühne einmal eintrocknen würde, weil der Nachschub an Jack Daniels nicht ausreichend war.

Lemmy, der als „Christkind“ am 24. Dezember 1945 zur Welt kam, musste nur zweimal aufgeben: Als der Krebs ihn angriff und als er versuchte, Sid Vicious von den Sex Pistols beizubringen, wie man Bass spielt. Er nannte den als unmusikalisch geltenden Sid einen hoffnungslosen Fall.

Cheers, Lemmy.