Nachtgespräch mit Thomas Bernhard

In einer Vorbemerkung erläutert Peter Hamm, weshalb sein im Jahr 1977 mit Thomas Bernhard geführtes Nachtgespräch erst jetzt erscheint.
Warum dieses Gespräch auch heute noch so lebendig auf mich wirkt, mag zwar mit daran liegen, dass ich Sprechton und Gestus Thomas Bernhards von mir bereits bekannten Interviews her noch sehr gut in Ohr und Sinn habe, auch Peter Hamm mir insbesondere von der Schweizer TV-Sendung „Literaturclub“ sehr präsent ist und ich ausgerechnet im August des vergangenen Jahres in Gmunden am Traunsee und in Thomas Bernhards Bauernhof in Ohlsdorf gewesen bin und so auch die Örtlichkeiten noch ganz frisch im Gedächtnis habe.

Aber auch ganz ohne diese speziellen, individuellen Vorgaben wird jeder wache Leser einen sehr frischen Eindruck von diesem Gespräch bekommen können. Bis in die Diktion hinein – auch Bernhards typische, rhetorisch fragende und kommunikationsförderliche Interjektion „nicht“ wird nicht ausgespart – bekommt man den Eindruck eines zuverlässigen Textes, der noch ganz nah ist an der tatsächlich gesprochenen Sprache. Schon allein dies macht die Lektüre lohnend.

Zudem werden viele interessante Themen angesprochen. Mich haben davon vor allem zwei interessiert. Zum einen: wie Bernhard selber eine Unterscheidung trifft zwischen sich 1.) als Prosaschriftsteller und 2.) als Theaterautor (vgl. vor allem S. 47 und die Seiten im Umkreis davon).

Und zum anderen: Wie enorm stark er doch die Nähe, die Nachbarschaft von Literatur und Musik betont (vgl. S. 34f.). Seine Prosastücke müssten wie Partituren gelesen werden. Einer der Mängel der üblichen Literaturkritik bestehe darin, dass die Literaturkritiker in der Regel von Musik nur wenig Ahnung hätten oder aber, sogar wenn sie durchaus, also zumindest abwechselnd, Literatur- und Musikkritiker seien (darf man hier vielleicht sogar an Joachim Kaiser denken?), ihr Musikwissen im Hinblick auf Literatur nicht hinreichend nutzen würden: „Ja, ich sehe die Prosastücke wie die Stücke als Partituren. Die Kritiker aber sehen nur die Singstimme oder den Klavierauszug, und dadurch geht bei ihnen immer alles daneben, weil sie das Ganze nicht sehen. Sie sehen nur den Auszug und die Oberstimme.“ (Thomas Bernhard, a. a. O.)

Drittens fällt mir auf, dass – wie unzeitgemäß doch für damals – Thomas Bernhard sich beständig und hartnäckig weigert, auf eine ganz bestimmte politische Richtung hin festgelegt zu werden: „Was ich vielleicht will, ist, irgendwas zu beschreiben, was mich abstößt oder anzieht und wovon ich annehme, daß es, wenn es andere lesen, auch sie abstößt oder anzieht. Dadurch ist ja eine Wirkung da, nicht? Das ist der Reiz. Mehr stelle ich mir nicht vor.“ (S. 60f.)

Thomas Bernhard / Peter Hamm: „Sind Sie gern böse?“ Ein Nachtgespräch zwischen Thomas Bernhard und Peter Hamm im Hause Bernhard in Ohlsdorf 1977. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011. 62 Seiten, 14,90 €