Aus Komik wird Entsetzen: David Grossmans Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“

Einmal, da war der Stand-up-Comedian Dovele Grinstein noch ein Kind und verbrachte seine Ferien in einem Jugendcamp, wurde er von bösartigen Kerlen in einen Seesack gesteckt und so lange durch die Luft geworfen, bis er winselnd auf den Boden krachte.

Hilfe bekam Dovele nicht, auch nicht von seinem Schulkameraden Avishai Lazar. Denn dem ist der kleine Knirps, der gern auf den Händen läuft, um seine traurige Mutter zum Lachen zu bringen und die garstige Welt mit anderen Augen zu sehen, irgendwie peinlich.

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Avishai, der später ein berühmter Richter werden wird, hat seinen Schulfreund damals nicht nur verraten, sondern später auch ganz und gar vergessen – bis er, nach fast einem halben Jahrhundert, einen Anruf von Dovele bekommt, der Avishai bittet, in eine seiner Vorstellungen zu kommen, mit ihm zu lachen und seinen 57. Geburtstag zu feiern. Das kann ja heiter werden.

Wird es auch. Jedenfalls am Anfang, als der spindeldürre und grell geschminkte Dovele schnell ein paar knackige Witze heraushaut und das Publikum in der Hafenstadt Netanja mit erotischen Anzüglichkeiten zum Brüllen bringt.

Doch das wird sich bald ändern, und aus der kurzweiligen Blödelei wird eine grelle Publikumsbeschimpfung, eine mitleidlose Lebensbeichte und ein fataler Schicksalsbericht, bei dem die Zuschauer irgendwann fluchtartig den Raum verlassen. Wer will schon etwas von Verrat und Schuld, Vernichtung und Tod hören, wenn man sich doch abends nur ein bisschen amüsieren möchte?

Der israelische Autor David Grossman, bisher eher als sanfter Friedensapostel bekannt, hat angesichts von Verdrängen und Vergessen und der in Terrorzeiten um sich greifenden gesellschaftlichen Verrohung in seinem neuen Roman die Tonlage erheblich verschärft: Beim Lesen von „Kommt ein Pferd in die Bar“, das doch vordergründig nur vom Auftritt eines Comedian handelt, bleibt einem wahrlich das Lachen im Halse stecken. Das gilt auch für Avishai, der zum Chronisten dieser bizarren Show wird und bei seinem verratenen und zutiefst verletzten Jugendfreund Abbitte leisten muss.

Während Doveles Witzeleien immer grotesker werden und die zwischen Komik und Entsetzen schlingernde Show Fahrt aufnimmt, kramt Chronist Avishai in seinen Erinnerungen, versucht er zu begreifen, wie er, der einst so lebenslustig war, zum Menschenfeind werden konnte; versucht er zu verstehen, wie der Holocaust und seine Folgen, wie Vernichtung, Tod und die Schuldgefühle der Überlebenden die Gegenwart vergiften.

Eigentlich kann man all das, was Dovele da aus der Vergangenheit ausgräbt, und wie er sich selbst bei jeder Pointe eine schallende Ohrfeige gibt, kaum ertragen. Doch dann hat er noch eine schlimmere Geschichte parat. Die handelt davon, wie der ins Ferienlager abgeschobene kleine Junge plötzlich in einen Laster verfrachtet wird, der ihn zurück nach Jerusalem bringen soll. Während der Fahrer ihn mit Witzen ablenkt, begreift Dovele, dass es zu einer Beerdigung geht. Ein Elternteil ist gestorben. Nur wer, der Vater oder die Mutter, das sagt ihm niemand.

Und so hat Dovele das verzweifelte Gefühl, es liege an ihm, nur er könne und müsse entscheiden, wer tot ist und beerdigt werden muss – und wer weiterleben darf. Wie und ob es gelingen kann, den Schmerz der Vergangenheit zu ertragen und die Sehnsucht nach Vergebung zu stillen, davon erzählt David Grossman auf ebenso verstörende wie faszinierende Weise.

David Grossman: „Kommt ein Pferd in die Bar“. Roman. Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer. Carl Hanser Verlag, München. 255 S., 19,90 Euro.