Gespräche mit einem Vatermörder – „Theben-Park“ bei den Ruhrfestspielen

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Vatermörder Martin Santos (Nicolai Despot, links), Dramatiker S. (Maik Solbach) (Foto: Bohumil Kostohryz / Ruhrfestspiele)

Vatermord gleich Ödipus, oder? Der namenlos bleibende Autor S. in Sergio Blancos Zweipersonenstück „Theben-Park“ hat da eine ganz feste Meinung, die er in einem Theaterprojekt mit einem ganz realen Vatermörder realisieren möchte – im Auftrag, kleiner inszenatorischer Scherz, der Ruhrfestspiele.

Die Absicht, den jungen Vatermörder sich selbst spielen zu lassen, scheitert am Einspruch der Behörden, und so wird aus dem Zweipersonen- flugs ein Dreipersonenstück, in dem ein Schauspieler nun abwechselnd den richtigen Vatermörder und den Schauspieler, der den Vatermörder geben soll, spielt, es somit summa bei zwei Darstellern bleibt. Autor und Delinquent/Schauspieler nähern sich aneinander an, entwickeln Szenen, das Geschehen ist längere Zeit absehbar.

Kaum Parallelen zu Ödipus

Natürlich hat der Stoff seinen Konflikt, der in den anderthalb Stunden, die die Inszenierung dauert, deutlich wird: Ödipus und Vatermörder Martin Santos haben kaum Gemeinsamkeiten. Die schuldhafte Verstrickung des Königssohns Ödipus, der um die Wirklichkeit nicht wissend seinen Vater umbringt, ist ein Konflikt für die gymnasiale Oberstufe; der Vater indes, den der junge Martin Santos mit einer Gabel abstach, war ein Arschloch, ein Sadist und Kinderschänder, der es nicht besser verdiente. Der Mörder wußte ganz genau, in wessen Leib er seine Waffe rammte, das steigerte seinen Furor in der Grenzsituation eher noch. Wenn er die Mordtat erst in Nachgang realisierte, so bringt ihn das dem unwissenden Ödipus doch nicht wirklich näher; netter Bastelversuch des Dramatikers S.

In der Folge dieser Tat könnte man natürlich nach ihrer moralischen, ethischen Bewertung in unseren Tagen fragen, was die überaus schlüssige, intensive Inszenierung Frank Hoffmanns indes unterläßt. Sie verortet (wortwörtlich) den Täter im Gefängnis, wo er wohl schon länger und für lange noch einsitzt und deutliche Symptome von Hospitalismus zeigt. Die Gesellschaft hat ihn ausgestoßen und weggeschlossen. Für immer? Und zu Recht?

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Vatermörder Martin Santos (Nicolai Despot, rechts), Dramatiker S. (Maik Solbach) (Foto: Bohumil Kostohryz / Ruhrfestspiele)

Heißes Wasser in den Duschen

Der Dramatiker S. denn also bekommt vom Täter seine (vermeintliche) Ödipus-Geschichte, schmückt sie mit einigen frei erfundenen, eher geschmacklosen Details aus und sieht zu, daß die Beziehung zu Martin dann zügig ihr Ende findet. Der nämlich hatte sich dem Autor nach anfänglicher aggressiver Scheu doch sehr geöffnet, ihm auch homosexuelle Avancen gemacht und überhaupt wenig Interesse an den Begrenzungen des Settings gezeigt. Wozu auch? Im Gefängnis bemißt sich Lebensqualität nicht nach publizistischen Konventionen, sondern nach der Besuchsregelung und der Zeit, zu der das heiße Wasser in den Duschen abgedreht wird. Und an Kontakten zu Menschen von draußen, auch wenn sie hemmungslose Ausbeuter von Zwangssituationen sind wie der Dramatiker S.

Maik Solbach gibt S., Nicolai Despot den Vatermörder Santos wie auch den Schauspieler Federico, und beide machen ihre Sache sehr gut. Vielleicht sollten sie in den weniger dramatischen Passagen der Inszenierung mehr Gelassenheit zeigen – das Stück ist ja eher naturalistisch angelegt. Vielleicht aber auch ist das Geschmackssache.

Was Klassik heute noch bedeutet

In jedem Fall könnte dieses kurze Stück eines bei uns nahezu noch unbekannten uruguayanischen Autors (Wikipedia, kleiner Schwank am Rande, bietet für den Namen Sergio Blanco lediglich einen Fußballer an oder aber die Möglichkeit, selber etwas über ihn zu verfassen) der Einstieg in eine Diskussion darüber sein, wie bedeutsam die dramatischen Motive der Klassik für uns Heutige noch sind; vielleicht auch der Einstieg in eine Diskussion über den zeitgemäßen Umgang mit Morden, Mördern und anderen traumatischen Ereignissen.

Mit seiner Inszenierung von „Theben-Park“ hat Frank Hoffmann ein Stück Theater geschaffen, das das Publikum zum Nachdenken auffordert, ohne ihm sogleich die finale Weltsicht des Regisseurs aufzudrängen.

Freundlicher, anhaltender Applaus in der Recklinghäuser Halle König Ludwig 1/2 für einen kleinen Höhepunkt in der Schlußphase der Ruhrfestspiele.

Termin: Samstag, 18.Juni www.ruhrfestspiele.de

 

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