Theater zwischen Mais und Sonnenblumen – „Sumpfland“ erfreut bei der Ruhrtriennale

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Die Waschmaschine muß raus, das Haus wird zu schwer – Szene aus „Sumpfland“. (Foto: Stephan Glagla/Ruhrtriennale)

„Sumpfland“ sollte das Stück nicht heißen, Sandland träfe es besser. Denn durch Sandland muss man stapfen, wenn man zur Inszenierung will. Mais und trockene Sonnenblumen säumen den beschwerlichen Weg, von dem man nicht weiß, wohin er führt, und der schon Teil der Inszenierung ist. Die Ruhrtriennale zeigt „Sumpfland“ als „Outdoor-Familienstück“ in der Bottroper Bauernschaft Sensenfeld.

Alles hängt

Hinter einer leichten Kurve taucht die Szenerie dann auf, ein heruntergekommenes, schiefes Backsteingebäude und gegenüber die Zuschauertribüne. Vor dem Haus und drumherum: Wasser, Matsche, Hausrat, Möbel, Kühlschrank. Das Besondere an vielen Dingen ist, dass sie an Masten hängen: Ein pittoreskes Bühnenbild im Maisfeld, dessen Sinnhaftigkeit sich indes erst erschließt, wenn wir eine junge Frau beobachten, die aufgeregt herumläuft, immer wieder einen Namen ruft und schließlich eine veritable Waschmaschine aus dem Haus wuchtet. Denn das Haus, erklärt sie uns, muss leichter werden. Sonst versinkt es im Sumpfland. Und die Dinge, die ringsherum an Stangen hängen, sind so etwas wie Flaschenzüge, die das Haus festhalten. Jedenfalls für den Moment.

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Der Weg ist nicht das Ziel, doch stimmungsvoll führt er zur Inszenierung (Foto: Stephan Glagla/Ruhrtriennale)

Starke Figuren

„Sumpfland“, daran ließ schon die Ankündigung keinen Zweifel, ist ein Stück auch für ein junges Publikum, „für Menschen von 8 bis 108 Jahren“, wie zu lesen war. Deshalb zeichnet das Studio Orka aus Gent, das hier auf dem flachen Land gastiert, die Figuren mit dickem Strich – die Geschwister, die das ehemals berühmte Café am ehemaligen Zielort eines gleichermaßen berühmten Radrennens nicht aufgeben wollen, den Lehrer, der öfter vorbeikommt, der seine Schüler und ihre Aufsätze liebt und trotzdem gemobbt wird, die Radfahrerin (und Tochter eines berühmten Radfahrers), die in Erinnerung an große alte Zeiten einen Blumenstrauß vorbeibringt, die Musiker, die mit ihrem Auto neben dem Haus im Sumpfland eingesunken sind und auf den Abschleppwagen warten.

Wildschweine jagen

Mal wird im Mais ein Wildschwein erlegt, mal hat die Radfahrerin einen Unfall und blutige Knie, das alles ist ebenso absurd wie in sich schlüssig, nicht zuletzt aber auch höchst unterhaltsam. Und plötzlich sinkt das Haus zu aufpeitschenden Elektrogitarrenklängen tatsächlich ein bisschen tiefer, und Schlimmeres kann erst in letzter Sekunde durch das Aufhängen der Waschmaschine – als Gegengewicht, sozusagen – verhindert werden. Das hat schon was. Auf so etwas muss man erstmal kommen.

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Vorn der Bruder, hinter ihm das Gebäude im Sumpfloch (Foto: Stephan Glagla/Ruhrtriennale)

Pommes zum Trost

Dieses Stück ist pädagogisch, gewiss, vor allem jedoch sehr menschlich. Es preist den Wert eines jeden Einzelnen, die Solidarität, die geschwisterliche Liebe, den Mut zu träumen. Wer schwach ist, bekommt Schutz, wer leidet, Trost. Tröstlich sind des Öfteren auch Pommes Schranke bis zum Abwinken, außerdem Fleischbällchen in Tomatensoße, falls noch welche da sind. (Es sind noch welche da.) Nur die Bratwurst ist leider ausgegangen.

Ehrlich und wahr

Einen Regisseur nennt der Besetzungszettel interessanterweise nicht. „Sumpfland“ ist von und mit Philippe Van de Velde, Martine Decroos, Dominique Van Malder, Julie Delrue, Eline Kuppens, Titus Devoogdt und Janne Desmet. Mit kräftiger Mimik und eindrucksvollem Körpereinsatz arbeiten sich die belgischen Akteure durch ihren deutschen Text, der ihnen erkennbar einiges abverlangt.

Für das Stück hat der holländische – besser vielleicht: flämische – Zungenschlag geradezu die Nebenwirkung eines epischen Verfremdungseffekts, der alles noch ein bisschen märchenhafter, unwirklicher, absurder und damit auf anrührende Weise ehrlicher und wahrer macht. Und all das auf freiem Feld und unter blauem Himmel.

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Um das Haus zu retten, muß man einander helfen: „Sumpfland“ ist durchaus pädagogisch, aber es nervt nicht damit. (Foto. Stephan Glagla/Ruhrtriennale)

Am Samstag blieb der Himmel leider nicht blau. Regen fiel, ein Gewitter deutete sich an, und nach einer Stunde musste das auf anderthalb Stunden angesetzte Stück vorzeitig beendet werden. Zurück ging der Weg aus dem Sumpfland zu den Parkplätzen. Irgendwo im Nirgendwo blieb das versinkende Radrennfahrercafé zurück. Sinnlicher kann Theater kaum sein.