Geheimnis des Dampfers: „Passagier 23“ im Westfälischen Landestheater

passagier_23_5_volker_beushausen

Unter Druck: Kriminalist Martin Schwartz  (Guido Thurk) (Foto: Volker Beushausen/WLT)

Martin Schwartz ist ein tragischer Held. Frau und Kind hat er auf einer Kreuzfahrt verloren und voll der Seelenpein beschlossen, nie wieder ein Kreuzfahrtschiff zu betreten. Vor allem nicht die „Sultan of the Seas“, denn auf ihr spielte sich das schreckliche Geschehen ab, dessen genauer Hergang indes im Dunklen liegt. Doch dann erreicht den verbitterten Polizeipsychologen ein Hilferuf, dem er sich nicht verweigern kann. Und bald schon spürt er auf tiefen Decks und in dunklen Winkeln dem bösen Geheimnis des Dampfers nach. Denn weitere Kinder und Mütter sind verschwunden. Mehr oder weniger jedenfalls.

passagier_23_10_volker_beushausen

Detektiv Martin Schwartz mit Teddybär und neugierige Rentnerin mit Rollator (Vesna Buljevic) bringen die Handlung voran. (Foto: Volker Beushausen/WLT)

„Passagier 23“ heißt das Krimistück, das das Westfälische Landestheater nun in sparsam-stimmiger Kulisse (Anna Kirschstein) und in der Regie von Lothar Maninger zur Aufführung bringt. Vorlage ist der Kriminalroman „Passagier 23“ von Sebastian Fitzek, aus dem Christian Scholze die Bühnenfassung machte.

Ihren Titel verdanken Buch und Stück dem denkwürdigen Umstand, dass in der weltweiten Kreuzschifffahrt jährlich 23 Menschen mehr oder minder spurlos verschwinden. „Passagier 23“, verrät uns das Stück, ist deshalb ein stehender Begriff für die Schiffsbesatzungen geworden, der stets auch Stress und Ärger bedeutet. Außerdem kostet es viel Geld, einen Dampfer für Stunden anzuhalten und den Passagier zu suchen, der möglicherweise über Bord gegangen ist.

Skrupellose Reedereien

Noch größer aber wird der Ärger, wenn so ein verlorengegangener Passagier plötzlich wieder auftaucht. Da weiß man nicht, wie lange die Polizei das Schiff im nächsten Hafen festhalten wird, und der Papierkram ist lästig. Am besten lässt man so einen Widergänger wieder verschwinden. Die Story von „Passagier 23“, die natürlich, wie sich das für einen Krimi gehört, vieles lange im Dunklen oder Halbdunklen belässt, lenkt des Publikums Vermutungen zunächst in diese Richtung: Lassen skrupellose Kreuzfahrtreedereien und ihre Kapitäne Passagiere verschwinden, um sich Ärger vom Hals zu halten?

passagier_23_2_volker_beushausen

Szene mit Kapitän Bonhoeffer, den Bülent Özdil gibt (Foto: Volker Beushausen/WLT)

Schlüsselbegriffe wie Schiff, Schiffbrüchige, Meer und so weiter hatten in der Ankündigung des Westfälischen Landestheaters natürlich sofort auch an Bootsflüchtlinge, Migration „Massengrab Mittelmeer“ und so weiter denken lassen. Doch erstaunlicherweise kommt das alles hier nicht vor. „Passagier 23“ ist tatsächlich ein von vorn bis hinten durcherzählter Kriminalstoff, mit Tätern, Opfern, Geretteten und Überlebenden. Man kann sich ganz entspannt zurücklehnen und auf gute Unterhaltung hoffen.

Racheengel

Ein bisschen Problemstoff wurde allerdings schon verwoben, und die Lösung der Geschichte ist schließlich auf dem großen Themenfeld „sexueller Missbrauch“ zu finden. Doch sind hier ausnahmsweise nicht vergewaltigende Männer die Bösen, sondern…

Die Geschichte, die man uns hier erzählt, hat jedenfalls reiches Trash-Potential und bittet geradezu um ein wenig parodistische Überhöhung.

passagier_23_9_volker_beushausen

Verdammt, ein Elektroschocker! Detektiv Schwartz muß in seinem Beruf schwer leiden. (Foto: Volker Beushausen/WLT)

Doch nichts davon in Castrop-Rauxel, in einer knapp zweistündigen Produktion samt Pause. Das dramatische Konzept, wenn man es so nennen will, ist einem Kinofilm nachempfunden. Besondere inszenatorische Möglichkeiten des Theaters, das ja immerhin eine Live-Veranstaltung ist, werden praktisch nicht genutzt.

Trotz intensiven Gebrauchs von Notebooks und Mobiltelefonen wirkt das ganze wie ein Relikt aus Opas Krimi-Boulevard, einem „Whodunnit“ Agatha Christies nicht gänzlich unähnlich und ganz kräftig aus der Zeit gefallen.

Von vorne bis hinten spannend

Wer andererseits konzentriertes, kammerspielhaftes Theater mag, das vor allem von den Dialogen lebt, kommt hier durchaus auf seine Kosten. Der Gang der Handlung gliedert sich schlüssig in viele kleine Szenen, die durch kurze Dunkelphasen voneinander getrennt werden, was der filmischen Erzählweise mit wechselnden Spielorten recht nahe kommt.

Wohltuend ist zudem der Verzicht auf Videoeinsatz sowie eine sparsame, effektive Lichtersetzung. Durchaus bemerkenswert schließlich die wenigen, aber treffsicheren Kunstgriffe, mit denen durch wechselnde Hintergrundprojektionen und sparsame Requisiten unterschiedliche Handlungsorte (Schiffsinneres, Kapitänskajüte, Reling usw.) entstehen. Und im wesentlichsten Punkt funktioniert Sebastian Fitzeks „Passagier 23“ ganz tadellos: Die Geschichte ist von vorne bis hinten spannend, man langweilt sich keine Minute.

Als unerschrockene Amateurdetektivin mit rotem Rollator hinterlässt Vesna Buljevic einen starken Eindruck. Mayke Dähn und Pia Seiferth als Mutter und Tochter Lamar sind Fleisch gewordenes Zerwürfnis. Neben den Gästen Mike Kühne und Franziska Ferrari sorgen Bülent Özdil, Samira Hempel und Maximilian von Ulardt aus dem WLT-Ensemble für einen alles in allem doch sehr erfrischenden Theaterabend. Das Publikum in der Stadthalle applaudierte frenetisch.

  • Termine 2016:
  • 24.10. Bottrop, Josef-Albers-Gymnasium
  •  3.11. Bocholt, Städtisches Bühnenhaus
  •  4.11. Witten, Saalbau
  •  8.11. Heinsberg, Stadthalle
  • 12.11. Hamm, Kurhaus
  • 16.11. Solingen, Theater
  • 24.11. Lünen, Heinz-Hilpert-Theater
  • 20.12. Castrop-Rauxel, Studio
  • www.westfaelisches-landestheater.de