Belcanto-Feuerwerk: Das Dortmunder Festival „Klangvokal“ beginnt mit Gioacchino Rossinis Oper „Le Comte Ory“

Der Graf Ory (Lawrence Brownlee, Mitte) und sein Page Isolier (Jana Kurucová, l.) buhlen um die Gunst der Gräfin Adèle (Jessica Pratt,r.) Foto: B. Kirschbaum

Wie ein französischer Don Juan stürmt der Graf Ory durch die gleichnamige Oper von Gioacchino Rossini. Er hat es auf die Gräfin Adèle abgesehen, die mit ihren Damen jedoch ein Keuschheitsgelübde abgelegt hat. So lange der Schlossherr und seine Ritter Kriegsdienst leisten, verwehren sie jedem männlichen Wesen den Zutritt zum Schloss.

Die amüsante kleine Mittelalter-Parodie, in der Rossini viel musikalisches Material aus seiner Oper „Die Reise nach Reims“ wiederverwendet hat, war am vergangenen Sonntag zur Eröffnung des Dortmunder Festivals „Klangvokal“ zu erleben. Eine Starbesetzung mit Belcanto-Spezialisten der Mailänder Scala und der MET in New York hatte Intendant Torsten Mosgraber im Vorfeld angekündigt. Dass er damit nicht zuviel versprochen hat, bewies die nicht-szenische Aufführung im Konzerthaus Dortmund. Die achtköpfige Solisten-Riege, die zum Festival-Auftakt vokalen Glanz verströmte, hätte kaum stärker und homogener besetzt sein können.

Er heckt immer wieder neue Streiche aus: Lawrence Brownlee (r.) als Comte Ory und Gheorghe Vlad als Coryphée (Foto: B. Kirschbaum)

Es ist das pure Vergnügen, den amerikanischen Tenor Lawrence Brownlee und die australische Sopranistin Jessica Pratt in den Hauptrollen zu hören. Brownlees betörend helles und elegantes Timbre beantwortet unmittelbar, warum er jüngst bei den International Opera Awards neben Anna Netrebko als „Bester Sänger des Jahres“ ausgezeichnet wurde. Seine umwerfend strahlkräftigen Spitzentöne wirken nie aufgesetzt, sondern entströmen organisch dem melodischen Fluss: ohne Krampf, aus purer Lust, fast übermütig hingezaubert.

Als wahre Belcanto-Königin triumphiert an seiner Seite Jessica Pratt, zu deren Paraderollen Donizettis „Lucia di Lammermoor“ zählt. Ihr äußerst beweglicher Sopran, mädchenhaft leuchtend und doch voller Kraft, klingt bis in die Spitzen durchgeformt und edel. Wie im Blindflug manövriert diese grandiose Sängerin durch alle tückischen Kurven des virtuosen Ziergesangs. Ihre kurz angestoßenen Staccato-Töne sind zum Niederknien, federleicht und unfehlbar treffsicher. Rossinis Meisterschaft findet in ihr eine ideale Interpretin.

Jana Kurucová in der Hosenrolle des Pagen Isolier (l.) und Jessica Pratt als Gräfin Adèle (Foto: B. Kirschbaum)

Stark sind die übrigen Solisten, die nicht verblassen neben diesem überragenden Duo. In der Hosenrolle als Page ist die Mezzosopranistin Jana Kurucová dem Grafen Ory ein ernst zu nehmender Rivale: durchaus in der Lage, dem Casanova dann und wann die Schau zu stehlen. Wunderbar auch Stella Grigorian als Ragonde, Monika Rydz als Alice, Roberto de Candia als Raimbaud, Oleg Tsybulko als Gouverneur und Gheorghe Vlad als Coryphée.

Das WDR Funkhausorchester Köln, überwiegend im Bereich der Unterhaltungsmusik zu Hause, fällt gegenüber dieser Sänger-Riege künstlerisch ab. Trotz des präzisen, Vitalität verbreitenden Dirigats von Giacomo Sagripanti reichen die Musiker nicht an das Niveau und den Esprit der Sänger heran. Freilich macht die Konzerthaus-Akustik es ihnen zusätzlich schwer, denn da das Orchester auf der Bühne sitzt, statt im Operngraben zu verschwinden, führen die Nachhallzeiten zu einem teilweise verwaschenen Klangbild. Gut gelingt aber die Gewittermusik im zweiten Akt, die viel Farbe und Stimmung liefert, ohne die Sänger zu übertönen. Auch der WDR Rundfunkchor ist engagiert bei der Sache (Einstudierung: Robert Blank).

Rossinis vorletzte Oper endet unvermittelt, ja abrupt. Die Kreuzritter kehren vom Krieg zurück, der Graf Ory muss fliehen. Beinahe scheint es, als habe Rossini keine Lust gehabt, das Stück fortzuführen. Das Programm von „Klangvokal“ aber erstreckt sich noch bis 25. Juni, unter anderem mit Edward Elgars Oratorium „The Dream of Gerontius“ und Henry Purcells „King Arthur“.

(Der Bericht ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen.)
Informationen http://www.klangvokal-dortmund.de, Ticket-Hotline 01806/57 00 70)