„Melancholia“ – Poetischer Weltuntergang auf leisen Sohlen

Im ersten Teil des Films, „Justine“ (gespielt von Kirsten Dunst), befinden wir uns im eleganten Clubhaus eines Golfplatzes, wo ihre Hochzeit mit Michael (Alexander Skarsgard, Sohn vom berühmten Stellan, der in jedem skandinavischen Film präsent ist, und auch hier mitspielt) gefeiert werden soll. Arrangiert wurde die Fête von Schwager John (Kiefer Sutherland), der nicht aufhören kann zu betonen, wieviel Geld er für dieses Fest ausgegeben hat. Alle Freunde, Verwandte und Kollegen warten schon seit langem auf die Braut. Aber zwei Stunden zu spät – der wedding planner (Udo Kier) ist ein Nervenbündel – betritt sie lächelnd den Saal, und das Festessen kann beginnen. Tafel und Gesellschaft erinnern an „Festen“ von Thomas Vinterberg, allerdings nur optisch.

Es wird bald klar, dass Justine sich irrational verhält. Sie verlässt scheinbar grundlos den Tisch, sie spaziert auf den Greens herum, nimmt ein Bad, schläft ein Ründchen, aber zwischendurch kommt sie auf einen Happen, auf einen Schluck, auf einen Tanz, zurück in den Saal. Sie tanzt mit dem Vater (John Hurt), wechselt ein paar Worte mit Mutter (Charlotte Rampling), Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) und deren kleinem Sohn Leo (Cameron Spurr). In Justines Gesicht erkennt man eine gewisse Ratlosigkeit, in ihrem Verhalten Rast- und Ruhelosigkeit. Sie bricht unvermittelt in Tränen aus. Sie schaut durch ein Teleskop, sieht den zusätzlichen Planeten. Sie ist besorgt, will funktionieren, will glücklich sein und glücklich machen, will das Richtige tun. Monumentale Aufgaben, die ihre Depression vorantreiben?

Es kommt zu einem Eklat, und sie flieht die Feier.

Der zweite Teil, „Claire“, spielt im Haus von Justines Schwester, wo sie Unterschlupf gefunden hat. Immer wieder schweift ihr Blick zum näherkommenden Planeten. Das Familienleben mit Schwester, Schwager John und Neffen Leo ist nicht einfach. Die Beziehung von Justine und Claire ist nicht einfach. Claire fürchtet sich vor dem Planeten, fürchtet um ihr Leben und das von Leo. John tut die Gefahr eines Zusammenstoßes mit dem Hinweis „It’s a fly-by“ ab. Je besorgter Claire wird, desto ruhiger wird Justine. „I know things“ sagt sie.

Das Thema Weltuntergang war mir bisher nur aus Science-Fiction-Filmen bekannt. Mit viel Getöse, special effects und fulminanten Feuersbrünsten. Nicht so in „Melancholia“. Der Mikrokosmos dysfunktionale Familie ist der Untergang. Die Depressionen, die Melancholie, die Angst.

Der Titel des Films ist der Name des Gestirns, das auf die Erde zusteuert, und die Melancholie ist Thema.

Lars von Trier hat ja seit einigen Jahren von den meisten Vorgaben für die sogenannten Dogma-Filme Abstand genommen, aber ein bisschen was ist immer noch geblieben. Zum Beispiel die Handkamera. Stative oder Rollkameras sind was Schönes, und Regisseure wie Fassbinder haben geniale Sachen damit gemacht. Sie haben sie schweben, tanzen oder im Kreis rum fahren lassen. Sie haben sie starr stehen lassen, oder wie ein menschliches Auge benutzt. Lars von Trier bevorzugt die Handkamera. Das mag manche Menschen schwindlig machen, mich macht’s zum Teil des Geschehens. Diese Kamera schaut genau dahin, wo ich auch hinschauen würde. Ich fühle mich mittendrin.

Und grad wenn mir der Kopf anfängt zu schwirren vom Partygeschehen, kommen unvermittelt dazwischengeschobene, standbildhafte, gemäldeartige Ruhemomente. Zum Verweilen, Eintauchen, Erholen. Justine treibt ruhig auf einem Waldsee, ein Bild von der Schönheit eines Monet-Gemäldes. Personen stehen weit voneinander auf einer geheimnissvoll beleuchteten Wiese. Die Oberfläche des bedrohlichen Planeten strahlt in freundlichem Blau.

Die Besetzung hätte besser nicht sein können. Kirsten Dunst, die es noch nie auf meine top-ten Liste geschafft hatte, ist perfekt für diese Rolle. Die anderen sind keine Nebenrollen, es sind alles kleine Hauptrollen. Es ist ein Film voller „Wow“-Momente, voller „Trinkt, o Augen, was die Wimper hält“-Momente. Der malerisch schöne Anfang, der verstörende Verlauf, und die opulenten Bilder des Endes.

So merkwürdig das klingt: es ist trotz des düsteren Themas ein wunderschöner Film. Eine Augenweide, und wegen des wunderbaren Soundtracks auch eine Ohrenweide.