Abgründige Liebesgeschichten einer Dienstmagd – Marlena Keil als „Zerline“ im Theater Dortmund

Wenn das Publikum den Raum betritt, steht sie schon da: Marlena Keil, Rock und Bluse unvorteilhaft eng. Schließlich stellt sie sich vor. Sie sei die alte Magd Zerline, die beim verstorbenen Herrn Baron und seiner Gattin in Diensten war und einst eine leidenschaftliche Affäre hatte.

Marlena Keil als Magd Zerline (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Der schneidige Herr von Juna

Es sei eine, wenn man so will, vertrackte Vierecksgeschichte zwischen dem schneidigen Herrn von Juna, der Baronin, einer weiteren, weitgehend ungezeichnet bleibenden Geliebten von Junas und eben ihr, Zerline, gewesen. Das Kind Hildegard sei aus dieser Beziehung hervorgegangen, das die Baronin zu ihrem machte. Und Zerline weiß, daß das Kind ein Bastard ist und erzählt dies und alles andere mit grimmiger Genugtuung. Betrug und Selbstbetrug prägten die Geschehnisse, einen ungeklärten Todesfall gab es sogar, die unbekannte Geliebte des Herrn von Juna starb unter rätselhaften Umständen. Doch der Prozeß verlief im Sande.

Täter und Opfer

Dies und mehr, ungeheure Dinge, erzählt Zerline in ihrem kurzweiligen Monolog, der übrigens dem Roman „Die Schuldlosen“ von Hermann Broch entstammt und schon mehrfach dramatisiert wurde.

Ob Zerline selber eher Täter oder Opfer war, ob sie für das Geschehen überhaupt „wichtig“ war, klärt sich trotz offenkundiger Verpeiltheit der Protagonistin nicht gänzlich. Einerseits war sie, das süße Zimmermädchen, gewiß kaum mehr als eine kleine Entspannung für den noblen Herrn von Juna; andererseits wußte Zerline auch damals schon um die Wirksamkeit von Intrige und Denunziation. Etwas kriminell war sie auch; und gewiß war es ein Fehler, ihr, der Beteiligten, das Kleinkind Hildegard zu überlassen.

Marlena Keil als Magd Zerline (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Diplominszenierung

Zerlines Monolog verlangt der Darstellerin viel ab, viel Durchdringung, viele Positionswechsel innerhalb ihrer Rolle. Um so bemerkenswerter ist der mutige Entschluß Marlena Keils, dieses dichte Stück Theater zu ihrer Diplominszenierung zu machen. Mit ihm schloß sie 2012 am Wiener Max-Reinhardt-Seminar ab, und zu sehen war sie mit der Produktion (Regie und Bühne: Matthias Rippert), die jetzt in den Dortmunder Spielplan aufgenommen wurde, auch schon im Pumpenhaus Münster. Seit der Spielzeit 2015/2016 ist Marlena Keil fest im Ensemble des Schauspiels Dortmund engagiert.

Etwas Heiterkeit

Daß dieser Soloabend sozusagen eine Diplomarbeit ist, steht im Programmheft, sonst hätte man es nicht gemerkt. Der Spannungsbogen wird souverän gehalten, die Einbettung in ein Rahmenhandlungsmotiv – die Begegnung mit dem immer müden Untermieter Herrn Andreas, dem Zerline ihr Herz ausschüttet – ist fein gewichtet. Ein, wo die Geschichte es zuläßt, pointenreicher Vortrag und zwei, drei zappelige Slapstickeinlagen sorgen für das nötige Quentchen Heiterkeit, ohne das tragische Geschichten nur schlecht funktionieren würden.

Ohne Überspielen

Marlena Keil gibt ihre Zerline intensiv, ohne zu überspielen, und mit großer Suggestion. Erstaunt stellt man fest, daß einem ein auf den ersten Blick so ferner, abgedrehter Stoff durchaus Vergnügen bereiten kann, wenn er so gegeben wird wie hier. Viel liebevoller Applaus.