Weihnachtsgeschichte eines Familienmenschen

Heute ist schon der 22. Dezember. Es wird eng. Auf, glückliche Fügung, ich geb dir noch 48 Stunden. Mach hinne.

Wie jedes Jahr, wenn Weihnachten in die Zielgrade geht, beginne ich mein vorweihnachtliches Telefon-Anstarren. Durch regelmäßige eindringliche Blicke versuche ich es in Gang zu setzen: Klingeln sollst du. KLINGELN! Schweigen. Wann immer ich die Wohnung betrete, frage ich meinen Anrufbeantworter, ob er mir nichts zu sagen hat. Hat er nicht – zumindest nicht das, was ich hören will.

Jinkee Choi "Toothed Cell", 08 (Foto JC)

Jinkee Choi "Toothed Cell", 08 (Foto JC)

Ich nehme an, bis hierher kann ich eurerseits mit heimlichen Verständnis rechnen. So ein plötzlich und unerwartet entfallendes Familienfest wär wie Weihnachten, oder?

Meine zugegeben aberwitziger Optimismus beruht auf der Tatsache, dass eben dieser Fall irgendwann einmal eingetreten ist. Ich erinnere mich nicht mehr an den Grund, jedenfalls kam just in dem Moment, da an Heiligabend „jedermann ging, dass er sich nerven ließe, ein jeder in seine Stadt“ ein Anruf, infolge irgendwelcher Umstände falle der weihnachtliche Menschenauflauf aus.

Was? Zwei Tage so ganz mit ohne reizende Menschen? Glückseligkeit brach über mich herein und ein paar wonnevolle Tage aus. Frieden auf Erden und mir ein Wohlgefallen.

Faceabookeachday-Tree (Foto Weißnichmehr)

Faceabookeachday-Tree (Foto Weißnichmehr)

Naja und seitdem hoffe ich auf eine Wiederholung jenes Weihnachtswunders. Die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintretende Variante hingegen sieht so aus: Das Telefon verkündiget mir keine große Freude, und so versammelt sich an Heiligabend bei meiner Mutter eine (gefühlte) Unzahl von Menschen, am Folgetag („Gell, ihr bleibt doch über Nacht?“) bei meinem Vater (geschiedene Eltern erhöhen die Weihnachtsfeier-Rate um 100%!), wo sich das Peronenaufkommen infolge dessen Facebook-Dimensionen erreichenden Geselligkeitssinns zusätzlich verschärft. Den genauen Ablauf dieser Stammesriten erspar ich euch – ihr kennt das.

Ausdruck innerer Befindlichkeit (Foto CL)

Ausdruck innerer Befindlichkeit (Foto CL)

Ja, nee, klar, bin schon unterwegs. Und während ich leise wimmernd einsehe, dass das Weihnachtswunder auch dieses Jahr ausbleibt, such ich mir jemand, um meine weihnachtliche Vorfreude an ihm auszulassen. Wen nehmen wir denn da mal … Au ja: mein bewährtes Lieblingsopfer. Also nächster Anruf: „UUUwe, sachma wo bleibst du? Wir müssen los, wir kommen zu spät – ich mein: Du kommst zu spät. Wie immer. Wo bist du denn?“

Des Hughes "Angry-Pins", 11 (Foto CL)

Des Hughes "Angry-Pins", 11 (Foto CL)