Der Geierabend: Klamauk in Ruhrdistan

Geierabend - Screenshot der Homepage www.geierabend.de

Geierabend - Screenshot der Homepage www.geierabend.de

Erdig, ungestüm, ein bisschen verrückt – wer sich mit dem „Geierabend“ in der Regie von Günter Rückert auf einen Ritt „Durch das wilde Ruhrdistan“ aufmacht, kann sich auf humoreske Abenteuer gefasst machen.

Von der bissigen Dortmunder Lokalsatire bis zu bundespolitischen Ausrutschern fegen die Geier in der 21. Session ihres alternativen Ruhrgebiets-Karnevals auf Zeche Zollern hinweg. Die Tour d’humour bietet echte Höhen – aber auch tiefe Tiefen.

Karneval im Ruhrgebiet ist anders, vor allem beim Geierabend. Kaum jemand ist verkleidet, außer den Gestalten auf der Bühne, es wird wenig bis gar nicht geschunkelt und Gefühlsausbrüche drücken die Zuschauer durch Trampeln und Geiern aus.

Und doch: Ob im Rheinland oder im Ruhrgebiet, die Giftpfeile schießen auf diejenigen, die über das Jahr die peinlichsten Vorlagen geliefert haben. Und das tagesaktuell, fragt doch der „Steiger“ (Martin Kaysh) den Präsidenten (Roman Henri Marczewski) aus, ob er standesgemäß Urlaub auf Kosten von Freunden gemacht habe.

Bissig ohne Scheu

In seinen besten Momenten ist das eingespielte Ensemble bissig ohne Scheu: „Wissen macht aua“ wird da zum Motto der Mitglieder der Piratenpartei, deren Ehrenvorsitzender ein kopfloser Klaus Störtebeker ist, während der Migrationsexperte gerade seinen Ausstand bei der NPD gibt. Die Geier erlauben sich, auch bei den ernstesten Themen herrlich rumzuspinnen – und bieten zum Beispiel bei „Kuh-VC“ den ultimativen Euro-Rettungsschirm feil, Modell „Titanic“ mit patentierter EZB-Schutzschicht.

Eine der besten Nummern nimmt das Phänomen „Facebook“ aufs Korn: Während zwei schüchterne Jugendliche sich zum „privaten Weichteil-Flashmob“ verabreden, tanzen „Gefällt mir Buttons“ über die Bühne und eine Dietrich-Diva sind „Frag nicht wo die Daten sind“.

Strukturwandel als Klischee

Auch viele Dortmunder Spezialitäten nehmen die Geier aufs Korn. Gut, dass den Panneköppen dank des Steigers, dem „Julian Assange des Geierabends“, schon die ersten Drehbücher für den Dortmunder Tatort vorliegen. Die aber erweisen sich bei näherem Hinschauen als höchst komplex. Schließlich gilt es, Klischees zu vermeiden – da gilt es eine Leiche auf der Lore dringend zu vermeiden. „Ja, soll ich die jetzt in den Technologiepark ziehen, oder watt?“, fragt ein verzweifelter Ermittler. „Bloß nicht. Das wäre Strukturwandel und auch ein Klischee“ ist die niederschmetternde Antwort. Ohne Klischees also keine Leiche, kein Mörder, keine Geschichte – das könnte auch das Motto des Geierabends in diesem Jahr sein.

Ulli Durau

Stark ist, wenn das Ensemble das lokale Geschehen zu aberwitzig bösen Geschichten strickt: Für das Dortmunder U, das selbst trotz „Skandalmarketings“ mit der Kunstwerke wegschrubbenden Putzfrau an zweistelligen Besucherzahlen „arbeitet“, hat Tourismus 21 eine simple Idee. Warum nicht einfach die Dortmunder Nazis dort unterbringen, wo sie unter sich sind? „Da könnt ihr euch ein bisschen fühlen wie in Albert Speers Germania-Halle“ säuselt die Tourismusleiterin (Sandra Schmitz) dem Nazi-Kevin (Benedikt Hahn) zu. Da muss man bei dem Werbespruch schon ein bisschen schlucken: „Dortmund – wo Faschos zu Hause sind“.

Andere Szenen wie „Der Schatz im Phoenixsee“ klingen und beginnen zwar vielversprechend, werden aber nicht konsequent durchgezogen und versanden.

Verve zeigt allerdings der Steiger: Auch wenn er bei der Premiere noch nicht ganz ‘witzwarm’ wirkte, ließ er sich von der anwesenden Lokalprominenz nicht irritieren – baute OB Ullrich Sierau („Wir duzen uns, ich darf Ulli Durau sagen“) ein Fahrrad zum Telefonieren auf der Bühne auf und spottete über die umstrittenen Spenden von Kölbl und Kruse. Und auch einen treffenden Vorschlag für einen Ortszusatz hatte er parat: „Dortmund – die immer-wieder-Wahl-Stadt“…

Ab und zu daneben gegriffen

Und doch greifen die Geier auch manches Mal daneben: Ob nun Kakerlaken einen wenig erhellenden Choral zum Weltuntergang singen, allein der Name des Kfz-Mechanikers Boskop („Keine Äpfel!“) als Witz tragen soll oder Spielerfrauen angesichts von homosexuellen Fußballern plötzlich Spielermänner neben sich stehen haben – all das könnte man sich sparen und so das fast vierstündige Programm kürzen.

Da feiert das Publikum schon lieber die albernen, grellen Kostüme, die starke Musik der Geierabend-Band und die Kultfiguren wie die Bandscheibe (Franziska Mense-Moritz) oder die Zwei vonne Südtribüne (Mense-Moritz und Hans Martin Eickmann). Bei Joachim Schlendersack (Martin F. Risse) wird sogar ein Schweinetransport nach Brasilien zur Gaudi – was den Geierabend eben auch ausmacht, ist die Lust am reinen Klamauk.