„Ewich gibbet nich“ – die Welt des Ruhrpotts

Wie das Leben so spielt: Zwei im Ruhrgebiet geborene und sozialisierte Journalisten müssen erst an die Alster ziehen, um sich kennen und schätzen zu lernen. Die Spiegel-Online Autoren Frank Patalong und Konrad Lischka stellten beim Feierabend-Pilsken fest, „dass man den Ruhrie in sich nie ganz ablegen kann.“ Grund genug für die beiden, gemeinsam ein Buch über das Ruhrgebiet und seine Bewohner zu schreiben.

Mit „Dat Schönste am Wein is dat Pilsken danach“ ist ihnen ein ehrlicher, subjektiver Blick darauf gelungen. Die beiden entdeckten viele Gemeinsamkeiten, aber auch einen entscheidenden Unterschied.

Frank Patalong (Jahrgang 1963) wuchs im von der Stahlindustrie geprägten Duisburg auf. Er erlebte die Zeit, in der es Konsens war, Ruß, Dreck und Gift im Tausch gegen Arbeitsplätze in Kauf zu nehmen und den heimischen „Monte Schlacko“ als größtmöglichen Abenteuerspielplatz zu akzeptieren.

Konrad Lischka (Jahrgang 1979) hingegen wurde Anfang der achtziger Jahre in Essen mit dem Strukturwandel groß. Er erlebte Zechen und Stahlwerke oftmals nur noch als Kulisse für postapokalyptische Foto-Szenarien oder als einzigartige Räume für die durchlässige Subkultur des Ruhrgebiets. Seine Halden waren schon die von Menschen gemachten Landschaftsparks, die viele heute für Natur halten. Der Blick der Autoren auf die „wunderbare Welt des Ruhrpotts“ ist oft kritisch, immer aber auch liebevoll. Sie erzählen persönliche Geschichten aus dem Leben ihrer Familien und damit über zwei völlig unterschiedliche Zeiten und zwei völlig unterschiedliche Ruhrgebietswahrnehmungen.

Ihr Buch ist aber bei weitem nicht nur eine Anekdoten- und Geschichtensammlung. Ihre Berichte bilden den Rahmen für eine subjektive und spannende Analyse des Ruhrgebiets. Es sind erstaunliche, manchmal auch schmerzliche Erkenntnisse, welche die beiden zu Tage fördern. Viele Gedanken, von den meisten im Ruhrgebiet Lebenden erst gestreift, haben die beiden zu Ende gedacht.

Mit vielem haben sie Recht, das muss man auch als Ruhrgebiets-Eingeborener (nicht immer gerne) zugeben. Sie haben Recht mit ihren liebevollen Blicken auf die mutige, oft trotzige Beharrlichkeit des „Ruhries“, die Herausforderungen der Zukunft anzunehmen. Es stimmt, der Ruhrgebietler kultiviert das Malocherpathos, ist aber auch stolz auf die einzigartigen Kultur- und Landschaftsräume. Ich gebe ihnen aber auch Recht mit ihrer desillusionierenden Feststellung, „Reg Dich nicht auf, hat doch keinen Zweck“ wäre ein ausgezeichnetes Leitmotiv für eine noch zu entwerfende Ruhrpottflagge. Fatalismus hat im Ruhrgebiet Tradition und auch die ach so vorbildliche, gerühmte Multi-Kulti-Toleranz ist schlicht und ergreifend oft genug einfach nur Ignoranz und Nebeneinanderherleben. Hauptsache, man fällt nicht auf, passt sich an, kappt seine eigenen Wurzeln und wird zum „Ruhrpötter“.

Lischka/Patalong fassen es treffend zusammen: „Der bewährte Ruhrreflex gegen alles, was uns die Schattenseiten vor Augen führen könnte: Woanders ist auch scheiße“. Die beiden Autoren dürfen meckern. Sie sind aus dem Ruhrgebiet, sie lieben den Pott, man liest es aus jeder, auch noch der kritischsten Zeile heraus. Und sie meckern ja nicht nur, sie zeigen uns auch ihre persönlichen Lieblingsplätze und geben jede Menge feine Tipps für alle Lebenslagen.

So ist das Buch ein empfehlenswerter Schmelztiegel geworden, genau wie das Ruhrgebiet selbst. Es sei jedem Ruhrgebietler empfohlen, der eine kritisch liebevolle Auseinandersetzung mit seiner Heimat verträgt und darüber hinaus jedem, der immer schon erfahren wollte, wie es im Ruhrgebiet abseits von der oft so gern überzeichneten Tristesse wirklich ist. Das Ruhrgebiet ist heute vom Strukturwandel gezeichnet, „ein Ort, wo fast alles verschwinden oder sich zumindest jederzeit verwandeln kann“. Im Guten wie im Schlechten. Sagen wir es mit dem im Buch oft zitierten Kumpel Schibulski „Ewich gibbet nich. Wat bleibt, iss, wie die Leute sind.“

Konrad Lischka/ Frank Patalong: „Dat Schönste am Wein is dat Pilsken danach. Die wunderbare Welt des Ruhrpotts“. Bastei Lübbe, 272 Seiten, € 16,99

Anmerkung: Der Titel zitiert einen im Ruhrgebiet allgegenwärtigen Trinkspruch, welcher dem verstorbenen Dortmunder Oberbürgermeister Samtlebe zugeschrieben wird.