Großstadt-Triptychon in Gelsenkirchen: Glanz und Elend der Zwanziger Jahre

Menschen auf engem Raum: Szene aus „Leben in dieser Zeit“ von Edmund Nick auf Texte von Erich Kästner (Foto: MiR/Pedro Malinowski)

So geht es den Trägern berühmter Namen: Was einerseits Türen öffnen kann, weckt andererseits Erwartungen, die nicht selten zur hohen Messlatte werden. Im Gelsenkirchener Musiktheater stand jetzt das Großstadt-Triptychon des Malers Otto Dix Pate für einen gleichnamigen Abend, der drei Opern-Einakter verschiedener Komponisten mit Hilfe des Tanzes zu einem Panorama der goldenen Zwanziger Jahre verbinden sollte.

Dabei haben „Zeus und Elida“ von Stefan Wolpe, „Leben in dieser Zeit“ von Edmund Nick und das „Mahagonny-Songspiel“ von Kurt Weill kaum mehr gemein als die Entstehungszeit. Stefan Wolpes 1928 uraufgeführtes Werk ist eine Groteske, in der Zeus auf der Suche nach Europa mitten auf dem Potsdamer Platz in Berlin landet und sich in den Wirren einer modernen Zeit verheddert. Wolpe hat dazu eine expressionistische, hoch komplexe Musik geschrieben, in der Anleihen aus der Tanz- und Unterhaltungsmusik der Zwanziger grell aufleuchten.

Ganz anders der Kästner-Freund Edmund Nick, seinerzeit Hauskomponist beim Schlesischen Rundfunk Breslau und nach dem Krieg beim WDR in Köln. Seine lyrische Suite „Leben in dieser Zeit“ (1929) ist ein unterhaltsames Hörspiel, dessen Chansons und Chöre fast einschmeichelnd glatt ins Ohr gehen. Meilenweit ist diese Musik von den geschärften Klängen des „Mahagonny Songspiels“ (1927) von Kurt Weill entfernt, der aus einem kleinen Instrumentarium ein Maximum an Biss und Schmiss heraus holt.

Gelsenkirchens neuer Ballettchefin Bridget Breiner oblag das Experiment, diese Trias zu einem Gesamtkunstwerk zu schmieden. Aber aus dem Nebeneinander von Sängern und Tänzern will lange kein Miteinander werden. Im Bühnenbild von Jürgen Kirner, der mit zugespitzten Hochhaus-Silhouetten und beengten Wohn-Zellen arbeitet, belebt der Tanz zwar die Szene, bleibt aber meist nur Beiwerk. Unbeholfenheiten lassen die Produktion an immer neuen Stellen haken und holpern. Mal droht „Zeus und Elida“ in eine Kostümparade abzurutschen, mal ist die Personenführung unglücklich wie im Falle von Thomas Möwes, der als Zeus leider nur stimmlich eine gute Figur abgeben darf. Dann wieder nimmt die zu oft ungenaue Rhythmik des Sprechgesangs (Joachim G. Maas) Kästners Versen in „Leben in dieser Zeit“ viel von ihrer Wirkung.

Gelungenes findet sich erst im zweiten Teil des Abends, der dann doch noch an Dichte gewinnt. In „Leben in unserer Zeit“ vermittelt Lars-Oliver Rühl als „Herr Schmidt“ viel von der Ohnmacht und Einsamkeit des Durchschnittsmenschen. Christa Platzer berührt als Chansonette mit dem Lied einer Mutter, die an der physischen und emotionalen Ferne des erwachsenen Sohnes leidet. Zum Song „Man müsste wieder 16 sein“ choreographiert Bridget Breiner einen Pas de deux von zauberhaft schwebender, unbekümmerter Leichtigkeit. Wo es um den Zorn der sprachlosen Mehrheit geht, steigert sich ihre elegante Tanzsprache zu kraftvollen und kämpferischen Gesten.

Das „Mahagonny Songspiel“ ist ohnehin zu stark, um seine Wirkung gänzlich zu verfehlen. Wo der Benares-Song so schön nach Katzenjammer klingt und der Mond von Alabama den Gesetzlosen scheint, schimmert auch das Versprechen auf, das Bridget Breiner den Gelsenkirchener Tanzfreunden macht.

(Der Bericht ist zuerst im Westfälischen Anzeiger erschienen. Info: www.musiktheater-im-revier.de)