Der grüne Bademantel – über Probleme, die Dortmunder in die Oper zu locken

Stein des Anstoßes: Der grüne Bademantel der Norma (Miriam Clark). Foto: Stage Picture

Es ist schon verrückt: Da kann ein grüner Bademantel über das Wohl und Wehe einer Operninszenierung entscheiden. Es mag noch so exquisit gesungen werden, das Orchester noch so beherzt aufspielen, das Stück selbst melodienselig dahinfließen: Wenn die Optik einem Großteil des Publikums nicht gefällt, gibt’s Mecker und Verweigerung. 

So geschehen in Dortmund: Vincenzo Bellinis Belcanto-Hit „Norma“, zur Premiere gut besucht, wurde in den Folgevorstellungen abgestraft – leere Ränge allenthalben. Weil Normas Outfit nicht dem Geschmack entsprach: Knallige Farben, eine Corsage, die angeblich einer Dame des liegenden Gewerbes zur Ehre gereicht hätte: zuviel für manchen Zuschauer.

Nun, der Vorgang liegt schon eine Weile zurück, doch Jens-Daniel Herzog, neuer Opernintendant in Dortmund, musste sich der Debatte erneut stellen. Er hatte zur Halbzeitbilanz seiner ersten Saison eingeladen, zu einem Publikumsgespräch über Stärken und Schwächen der bisherigen Produktionen, das der Musikjournalist Holger Noltze moderierte.

So entzündete sich eine Debatte an einem kostümbildnerischen Detail, die sich schnell Grundsätzlichem zuwandte. Wieviel darf das Theater von seinem Publikum verlangen. Sollten die Zuschauer mehr mitbringen als den Wunsch nach Unterhaltung? Wieviel Aktualität verträgt ein Stück, das sich etwa vor dem historischen Hintergrund des 18. Jahrhunderts bewegt?

Norma - eine Priesterin in Unterwäsche. Foto: Stage Picture

Herzog, der nicht gerade zu den Regieberserkern oder Stückezertrümmerern zählt, hält gleichwohl die Freiheit der Kunst für unantastbar. Mit Freude zitierte er aus dem Mailwechsel mit einer Zuschauerin, die sich eben über die Kleidung der Norma echauffierte. Bei aller gegensätzlichen Auffassung sei es zu einem intensiven Dialog gekommen, der für das Theater ungemein wichtig sei.

Publikums Stimme forderte geradezu diesen Dialog: „Wie wollen die Absichten des Regisseurs verstehen, sie muss uns erklärt werden“, rief eine leidenschaftliche Opernbesucherin. Und Herzog wiederum gab zu: „Wir müssen dahin kommen, dass Sie die Augen öffnen, nicht vor einer vermeintlich unbequemen Ästhetik verschließen. Wenn aber die Zeichen auf der Bühne, die für eine bestimmte Interpretation stehen, nicht erkannt werden, ist das jämmerlich“.

So alt diese Diskussion eigentlich ist, so gewichtig ist die aktuelle Situation, in der die Debatte geführt wird.  Denn nach den Intendanzen von John Dew und Christine Mielitz hat Jens-Daniel Herzog ein Haus übernommen, dem viele Zuschauer längst den Rücken gekehrt hatten. Wiederaufbau ist also angesagt. „Wir brauchen gegenseitiges Vertrauen“, wies Chefdramaturg Georg Holzer einen Weg. Das Theater müsse zeigen, dass ihm ernsthafte Arbeit und Qualität am Herzen lägen. Das Publikum wiederum solle die Bereitschaft signalisieren, sich mit neuen Ideen auseinanderzusetzen.

Und so schlecht sieht es in Dortmund angeblich nicht aus. Der Abwärtstrend sei gestoppt, das Betriebsklima verbessert, so Herzog. Natürlich weiß er, dass noch ein weiter Weg vor ihm liegt, doch seine Programmlinien will er konsequent durchziehen. Also jede Saison etwa eine Wagner-, Mozart-, oder Belcanto-Oper bieten, ein Musical, eine Operette, zudem Musiktheater des 20. Jahrhunderts, das sich aus der Spätromantik ableite. „Norma“ mag nicht gelaufen sein, die „Lustige Witwe“ etwa oder „Cosi fan tutte“ aber sind gefragt.

„Eigentlich gibt es hier für jedes Genre ein eigenes Publikum. Wir müssen daraus ein Opernpublikum schaffen“, ist Georg Holzers Überzeugung. Im übrigen sehe man sich vor, in den kommenden Inszenierungen wieder soetwas wie einen „grünen Bademantel“ zu präsentieren. Derart gewichtige Symbolik klingt nach einem Alleinstellungsmerkmal – so schräg ist nur Dortmund.