Verbrieft – Bekenntnisse eines Briefschreibers

Die Sondermarke prangt glänzend auf dem Umschlag.
Man denkt kurz an Ringelnatz und verabschiedet sich.
Ein Kulturwelt-Erbe befindet sich auf dem Rückzug.

Letzte Gefechte?

Noch ein Brief, nochmal an den Schreibtisch,
der diesen Namen auch verdient. Freies Sichtfeld.
Ein weißes Blatt Papier, jungfräulich schön.
Das Schreibgerät liegt gut in der Hand. Das sollte so sein.
Man hat ein paar Stunden zu tun. Das ist nicht immer so,
aber es ist eine Option, mit der man rechnen muss.

Man kann von einer langen Tradition sprechen.
Unzählige Kulturschaffende standen in Briefkontakt und pflegten ihn.
Schriftsteller schrieben Briefe, die den Vergleich mit Büchern nicht scheuen mussten.
Es ist hier nicht die Rede von Geschäftsbriefen, sondern von persönlichen Kunstwerken,

intimen Mitteilungen und „archäologischen“ Unternehmungen.

Die Reise zum Mittelpunkt des Ichs.

Es gibt Etappen-Briefe, es geht hinauf, es geht hinunter.
Einige Briefwechsel dauerten Jahre.
In solch kurzlebigen Zeiten wie heute, undenkbar.
Das ist Nostalgie, meinen manche, das sei längst überholt.
Was das Tempo anbetrifft, keine Frage.
In Sachen Qualität, siegt der Brief in mehrfacher Hinsicht,
ist dem Medium Internet überlegen.
Der Brief ist ein Akt der Wertschöpfung, auch wenn der Kurs dieser Währung im Keller liegt.

Dort liegt bekannterweise auch der gute Wein.
Man sieht ihn kaum, er darf ruhig reifen.

Und kommt er dann ans Tageslicht,
ist man betört von seinen Düften und Aromen.
Man geht behutsam mit ihm um.
Er verträgt kein Geschwätz.
Nein, es umgibt ihn eine mitunter feierliche Aura,
frei von Kreditkarten-, Auto- und War-Game-Werbung.

Der eigene Charakter steht im Mittelpunkt,
nichts von der Stange, keine Kopie.
Der Brief steht für sich, steht für das Wort,
steht für Qualität.
Geschmückt durch eine Marke, darf er in Ruhe verreisen.

Aber wer nimmt sich heute noch die Zeit, einen Brief zu schreiben?

Das ist nicht cool. Das ist out.
Wie lange, das wird man sehen…

Stefan Dernbach ( LiteraTour )