Soziale Miniaturen (13): Ein Nachruf im bleibenden Zorn

 

 

 

 

 

 

 

Es ist einer gestorben, um den ich nicht richtig trauern mag.

Wie man hört, muss sein Sterben qualvoll gewesen sein. Kann man hier jegliches Mitleid verweigern? Eigentlich nicht. Sicherlich nicht.

Doch zu seinen Lebzeiten habe ich ihn als ein Charakterschwein hassen gelernt. Ja, ich schreibe diese furchtbaren Worte ganz bewusst hin und weiß, dass nicht wenige diese Zeilen unterschreiben würden. Mir ist schon geläufig, dass Hass und Feindschaft schlechteste Ratgeber sind. Auch verraten derlei entschiedene Abneigungen viel über einen selbst. Geschenkt.

Und überhaupt: Über die Toten darf nur Gutes gesagt werden. Es wäre in diesem Falle gar selbstlos. Eher schon neige ich zu einem Nachruf im bleibenden Zorn. Ich will nicht daran ersticken.

Meine nicht allzu tiefe Trauer betrifft denn auch eher allgemeine Sphären. Das Leiden an sich. Die Conditio humana. Hier ist ja ein Mitmensch verstorben. Auch mit ihm ist eine ganz eigene Weltsicht hinweg – wie krude auch immer. Auch er hat sein Innenleben gehabt. Nur hat er es niemals offen gezeigt, sondern mit aller Machtanstrengung einen Kraftkult der Unangreifbarkeit verkörpern wollen. Wie der sich immer über alle Alten und Schwachen lustig gemacht hat! Wie überaus dumm und kurzsichtig das gewesen ist. Es ist, als hätte er nun den allerhöchsten Preis für seinen Zynismus entrichtet.

Er wurde mitten im Weltkrieg geboren, wahrscheinlich hat man ihm in aller Kindesfrühe unerbittliche Härte eingepflanzt. Ebenso wahrscheinlich ist er im Innersten ein armes Würstchen gewesen, insgeheim um ein Zipfelchen Zuneigung bettelnd, freilich ringsum gepanzert. Solch einer wird dann unter gewissen Umständen zum gnadenlosen Schleifer und Galeeren-Einpeitscher, was elend sentimentale Anwandlungen vor hohen Feiertagen und im allfälligen Alkoholnebel nicht ausschließt.

Er hatte sich eine tigerhaft gefährlich klingende Stimmlage antrainiert, er hat sich – völlig ungebrochen, daher zunehmend lächerlich – als Alphamann geriert, hat dabei vielen die Motivation geraubt, sie erdrückt, vor den Kopf gestoßen oder gedemütigt. Etlicher Groll und unterdrückte Wut haben sich gegen ihn angesammelt. Umso betrüblicher, dass er höchst selten wirklichen Widerstand erfahren hat. Ein diktatorisches Lehrstück.

Für seine dumpfen Scherze aus dem Ungeist gesammelter Vorurteile hat er lachbereite Hilfstruppen gefunden, die sich wohl Vorzugsbehandlung oder wenigstens Schonung erhofften. Er hat sich sehr genau gemerkt, wer da nicht aus vollem Halse mittun wollte. Doch nie, nie hat man erlebt, dass er selbst wohlwollend oder gar herzlich über den Scherz irgend eines anderen gelacht hätte. Das hätte er sich selbst als Schwäche angerechnet.

Seine sterblichen Überreste sollen in Frieden ruhen, den er manchem Lebendigen nicht gelassen hat. Und damit gut.