Show der Zweifel: „Die große Weltverschwörung“ im Düsseldorfer NRW-Forum

Zweifel sind angebracht. Schon immer war der Sprache nicht zu trauen. Was in der Menschheitsgeschichte als Tatsache verstanden wurde, konnte genauso gut ein Märchen sein oder eine Metapher, getragen von Glauben, Liebe, Hoffnung, Hass. Heute, im Zeitalter des digitalen Zaubers, lügen auch vermeintlich eindeutige Abbilder.

Ausstellungsansicht mit Tony Ourslers (Foto: B. Babic)

Ausstellungsansicht mit Tony Ourslers Arbeit „N^u 2016″, einem sprechenden Kopf. (Courtesy the Artist & Galerie Hans Mayer – Foto: B. Babic / NRW-Forum Düsseldorf)

Fotografien und Filme lassen sich so perfekt verändern, dass niemand die Schnitte bemerkt. Zugleich können sie sich ungehemmt im Netz verbreiten – genau wie Behauptungen aller Art. Den Verschwörungstheorien sind keine Grenzen mehr gesetzt. Im Düsseldorfer NRW-Forum kann man mal darüber nachdenken, an der Welt verzweifeln und sich doch auch darüber amüsieren: „Im Zweifel für den Zweifel“ heißt eine schön maliziöse Kunstausstellung zum Thema Weltverschwörung.

Atmosphäre ist alles, weiß der Hamburger Kurator Florian Waldvogel, der diesen Coup mit Forumschef Alain Bieber ausgeheckt hat. Und so spukt es ganz gehörig in der Schau. Gleich vorne in der Ecke steht ein riesiger flacher Holzkopf des amerikanischen Video- und Installationsmeisters Tony Oursler und flüstert mit wechselnden Mündern und einem beweglichen Auge rätselhafte Dinge. Was hat der von Projektionen belebte Kopf gesagt? „I’m coming to the store now“, er käme jetzt ins Geschäft?

„Habe ich was verpasst?“

Egal, es ist spooky. Das bärtige Gesicht des Mannes scheint nur eine Maske zu sein, hinter der sich allerlei Wesen verbergen. Und wenn Sie das Gefühl haben, da stimme etwas nicht, mag es auch an den Suchscheinwerfern liegen, die, nach dem Konzept des isländischen Kunstmagiers Olafur Eliasson, die Besucher zu verfolgen scheinen („Highlighter“). Ein ebenso einfaches wie treffendes Zeichen für die allgemeine Verunsicherung, an der auch die wissenschaftliche Welt nichts ändern kann, wie man an der wandfüllenden Foto-Collage „Ideologiekritische Studien“ von Holger Wüst sieht. In einem Hörsaal sitzen nur noch Arme, Handys und Laptops, keine Gesichter mehr. Die Büsten der Denker liegen zerbrochen am Boden, dafür wimmelt es von abgedruckten Mails und Chats. An der Wand entziffert man eine kleine handgeschriebene Notiz: „Ich war die letzten 30 Tage gesperrt. Habe ich was verpasst?“

Natürlich, man verpasst immer was. Fakten und die von der Trump-Regierung erfundenen „alternativen Fakten“ fordern die Wahrnehmung heraus. Vieles bleibt dennoch verborgen. Die Londoner Kunst- und Forschungsgruppe „Forensic Architecture“ versucht seit der letzten Documenta, die Aufmerksamkeit für einen deutschen Skandal zu schärfen. Wie das Team unter Leitung von Professor Eyal Weizman mit forensischer Recherche und einem genauen Tatort-Plan offenbart, hat ein verdeckter Mitarbeiter des Verfassungsschutzes 2006 in einem Kasseler Internetcafé einem der rassistisch motivierten NSU-Morde tatenlos zugesehen. Der Mann behauptet bis heute, nichts bemerkt zu haben.

Kakofonie im finsteren Flur

Die Tabellen und Videos zu dem Thema sind allerdings nur für den äußerst geduldigen und wissbegierigen Besucher zu entziffern. Eine allzu akademische Arbeit, leider. Ähnliches gilt für die Arbeit „Hexen 2.0“, in deren Mittelpunkt das Bild einer Wissenschaftler-Runde bei einer Séance 1953 hängt. Mit Tarot-Karten und Anspielungen auf die interdisziplinären Macy-Konferenzen in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg wirft die britische Künstlerin Suzanne Treister komplexe Fragen von Technologie und Glauben, Macht und Fortschritt auf.

Auf der anderen Seite des Erdgeschosses appelliert der Hamburger Musiker und Klangkünstler Felix Kubin zum Glück direkt an unsere Sinne. In einem finsteren Flur werden wir von Geräuschen überrascht: Stimmengewirr, Sprechchöre und Musikfetzen. Tatsächlich hat Kubin diese Kakofonie 2002 bei einer unangemeldeten Demonstration gegen den rechtspopulistischen Innensenator Schill vor dem Hamburger Alsterhaus aufgenommen. In kleinen Gruppen, teilweise mit Weihnachtskappen kostümiert, hatten die Protestler damals die Polizei genarrt, während eine Kaufhauskapelle unverdrossen weiter Adventslieder spielte.

Ein ganz normaler Männerbund

Nach diesem Kopfkino gibt es noch ein paar reizvolle Seh-Aufgaben. Die in Köln lebende Dokumentarfotografin Juliane Herrmann (29) hat sich das Vertrauen der Freimaurer erworben und Einrichtungen sowie Mitglieder der als überaus geheim geltenden Loge in verschiedenen Ländern abgebildet. Ihre geduldig geschaffene Serie „Man among Men“ (Mann unter Männern) ist auch ein Bildband auf dem internationalen Büchermarkt geworden und offenbart nichts Verschwörerisches. Es handele sich, versichert die junge Frau, um einen „ganz normalen Männerbund“ mit humanitärem Hintergrund. Das kann man glauben oder bezweifeln, die Einschätzung steht jedem frei. An Trevor Paglens nüchterner Liste von hoch geheimen amerikanischen Militäraktionen („Top Secret“) hat man auf jeden Fall zu knacken: „Combat Hammer“ oder „Patriot Excalibur“ – das klingt nach nichts Gutem.

Michael Schirner (77), Professor für Kommunikationsdesign, erfolgreicher Werber, Ehrenmitglied des deutschen Art Director Clubs und Erfinder künstlerischer Konzepte, irritiert das Publikum nicht mit Worten, sondern mit großen Fotografien, die einem irgendwie bekannt vorkommen und die man doch nicht identifizieren kann. Kein Wunder: Schirner hat in dieser Serie unter dem subversiven Titel „Bye Bye“ auf bekannten Pressefotos die zentralen Figuren und/oder Gegenstände entfernt. Digital natürlich, also spurlos.

Die Präsenz des Verschwundenen

„WAR70“ zeigt Blumen am Ehrenmal der Helden des Ghettos von Warschau ohne Willy Brandt, der in diesem Moment 1970 hier seinen historischen Kniefall machte. „MUN72“ – das ist der Betonbalkon im Olympischen Dorf von München ohne den vermummten Terroristen, der 1972 dort stand und das Ende der friedlichen Spiele markierte. Und „BEI89“ verweist ganz leise auf das Massaker am Tor des Himmlischen Friedens in Peking. Man sieht nur einen kleinen Mann mit Einkaufstüte im Vordergrund. Die Panzer, denen er gegenüberstand, sind verschwunden. Das Bedrohliche existiert nur in der Erinnerung des Betrachters. Faszinierend und beunruhigend, auch wenn Ästhet Schirner betont: „Es ist einfach ein irrsinnig schönes Bild!“

Auf jeden Fall ist es ein klares, ruhiges Werk – ganz im Gegensatz zu der „Crowded Apocalypse“, die von der jungen internationalen Künstlergruppe IOCOSE mit Hilfe von sozialen Netzwerken und beliebigen Verschwörungstheorien in die Welt gesetzt wird. Über fünf Monitore geistern Namen und Andeutungen von Jack the Ripper über die Titanic bis zu den Illuminati, Prozentzahlen ergeben keinen Sinn, und auch eine Karte voller Köpfe und Begriffe schafft keine Ordnung.

Den eigenen Augen trauen

Und was bleibt uns nun? Den eigenen Augen zu trauen und der Vernunft, dieser vergessenen Gabe des denkenden Menschen. Man könnte auch ein bisschen bei den Philosophen nachlesen – zum Beispiel im ungewöhnlichen Katalog der Ausstellung. Kein Coffeetable-Book ist das, sondern ein schlichter, rot-schwarzer biegsamer Band im handlichen Format, geeignet für die Flucht, die der Verschwörungstheoretiker ja immer auch in Betracht zieht.

Aber Scherz beiseite: In diesem Buch sind wichtige Texte zusammengefasst – wie Michel Foucaults „Mut zur Wahrheit“, „Die Unfähigkeit zu trauern“ von Margarete & Alexander Mitscherlich oder Hannah Arendts hellsichtige Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen propagandistischer Hetze und Erlangung von Macht („Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“). Es mag anstrengend sein, sich mit ernsthaften Analysen auseinanderzusetzen. Aber es ist das einzige Mittel gegen das Gift der betörenden Lüge.

„Im Zweifel für den Zweifel: Die große Weltverschwörung“. Bis 18. November im NRW-Forum Düsseldorf, Ehrenhof 2. Di.-Do. 11 bis 18 Uhr, Fr. 11 bis 21 Uhr, Sa. 10 bis 21 Uhr, Sa./So. 10 bis 18 Uhr. Eintritt: Di.-Do. 6 Euro, Fr.-So. 8 Euro. Katalog im Kettler Verlag, Dortmund: 448 Seiten, 24 Euro. www.nrw-forum.de