Finstere Festung Europa: Jan Zweyers Krimi „Starkstrom“

Die Zukunftsvision, die Jan Zweyer in seinem Krimi „Starkstrom“ zeichnet, mutet gespenstisch an. In einem großen Teil europäischer Staaten sind Rechtspopulisten an der Macht. Der Kontinent hat sich regelrecht abgeschottet und gleicht einer Festung. Die Grenzanlagen lassen Erinnerungen an die Zeiten des Eisernen Vorhangs aufkommen.

Gleichwohl gelten die zweifachen, meterhohen Elektrozäune als human. Wenn Menschen sie überwinden wollen, müssen sie nicht gleich den Tod fürchten, sondern mit Strom geladene Drähte machen die „Durchbrecher“, wie man Flüchtlinge jetzt nennt, bewusstlos. Anschließend bringt man sie in als Transitzentren bezeichnete Auffanglager, die Abschiebung ist dann nur noch Formsache.

Der erste Tote im Buch kein Migrant, der jenseits der Grenze auf ein besseres Leben hofft, sondern der Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma. Er kommt unter mysteriösen Umständen bei Wartungsarbeiten ums Leben, zudem findet man bei ihm noch einen verkohlten Schweinekadaver. Der Tod des Mannes lässt sich nicht verheimlichen, auch wenn Behörden das vielleicht gerne möchten. Sie müssen stattdessen miterleben, wie das ganze Geschehen hohe Wellen schlägt, denn trotz der rechtsgerichteten Systeme haben die Medien ihre kritische Rolle noch nicht ganz verloren. Zudem beginnen Ermittler damit, die Hintergründe des grausamen Vorfalls genauer zu untersuchen.

Die Machenschaften der Schlepperbanden

Der aus Frankfurt stammende Schriftsteller Jan Zweyer entwickelt einen temporeichen Plot, der seine Dynamik gleich in mehreren Handlungssträngen entfalten kann. Die Sicherheitsfirma, wie könnte es anders sein, steht in enger Verbindung mit der Politik und staatlichen Instanzen. Eine Polizistin und ihr Kollege stoßen bei ihren Recherchen auf allerlei Ungereimtheiten. Und schließlich gibt es da noch eine Journalistin, die den Auftrag für eine große Reportage bekommen hat. Sie soll nicht nur in Westafrika auf Spurensuche nach den Ursachen der Flucht von Abertausenden Menschen gehen, sondern auch den Blick auf die Fluchtwege richten.

Wenn Zweyer den Leser teilhaben lässt an den Nachforschungen der Reporterin, die für ein angesehenes Magazin in Deutschland tätig ist, beschreibt er die wirtschaftliche und soziale Not, mit der der überwiegende Teil der afrikanischen Bevölkerung zu kämpfen hat. Das Buch erscheint aber nicht nur an solchen Stellen aktueller denn je. Der Autor rückt auch die kriminellen Machenschaften von Schlepperbanden in den Blickpunkt, die mit ihren Verlockungen Menschen überhaupt erst dazu bringen, ihre Heimat zu verlassen. Welche Todesgefahren ihnen drohen, merken sie meistens erst, wenn sie schon auf dem Flüchtlingsboot im Mittelmeer befinden.

Indem Zweyer das Schicksal einzelner Menschen herausgreift, die alles aufs Spiel setzen, um nach Europa zu gelangen, gewinnt seinn Krimi eine spezielle Dramaturgie. Wie es sich für einen spannenden Krimi gehört, läuft alles auf ein ungeahntes Finale hinaus.

Jan Zweyer: „Starkstrom“. Krimi. Grafit-Verlag, 282 Seiten, 12 Euro