Vom Kalauer zur Lebensweisheit – Der Dichter, Maler und Zeichner Robert Gernhardt wird 65 Jahre alt

Von Bernd Berke

Es ist überhaupt kein Frevel am klassischen Erbe, wenn man den Schriftsteller Robert Gernhardt in einem Atemzuge etwa mit Lichtenberg, Jean Paul oder Kurt Tucholksy nennt. Auch er gehört zu den ganz großen Humoristen und bildmächtigen Wortkünstlern unserer Literatur.

Zwischen Kalauer und Weisheit, Drastik und Feinsinn, die er so unnachahmlich zu verknüpfen weiß, ist Gernhardt nichts Menschliches, Tierisches und Sprachliches fremd. Seine prägnanten Sinn-Sprüche zieren nicht nur Anthologien, sondern sind auch ins verbale Volksvermögen eingeflossen. Höherer Nonsens mit Breitenwirkung: Die Kinofilme des Otto Waalkes wurden gleichfalls aus der Gernhardtschen Wortmanufaktur beliefert. Wo und wie auch immer: Bei Gernhardt stimmt der „Sound“ des Geschriebenen, und viele Menschen spüren das.

Der deutsche Nachkriegs-Humor auf einer neuen Stufe

Dass dieser ungemein sympathische, vielfach begabte Maler, Zeichner und Dichter morgen 65 Jahre alt wird, möchte man am liebsten nicht wahrhaben. Ist es denn wirklich schon so lange her, dass Gernhardt – im Verein mit F. K. Waechter und F. W. Bernstein –  dichtend und zeichnend die legendären „Pardon“-Seiten „Welt im Spiegel“ („WimS“) schuf? Nun ja, das war zwischen 1964 und 1976, liegt also ein Stück des Weges zurück. Doch es ist noch gegenwärtig, denn damals wurde der deutsche Nachkriegs-Humor auf eine lang vermisste neue Stufe gehievt. Diese Großtat fruchtet bis heute. Ohne Loriot, Heinz Erhardt oder eben Gernhardt & Co. („Neue Frankfurter Schule“) wäre beispielsweise ein Max Goldt kaum denkbar. Die Fackel wird also gottlob weiter getragen.

Die Feuilletons würdigten ihn erst recht spät

Schon gegen Ende der 60er Jahre, als Gernhardt noch unter dem Pseudonym „Lützel Jeman“ (Mittelhochdeutsch für „Kaum jemand“) arbeitete, hätte man ahnen können, dass da ein eminent sprach- und formbewusster Autor heranreifte, der die literarische Tradition gleichermaßen als „Wegweiser und Widerstand“ begriff. Doch die erste (noch dazu undotierte) Jury-Auszeichnung bekam Gernhardt erst mit 50 Jahren. Bis die Feuilletons sein Wirken priesen, dauerte es elend lang. Erst seit Mitte der 80er, als der Erzählband „Kippfigur“ erschien, gilt er auch hochmögenden Rezensenten als würdiger Gesprächsstoff.

Apropos: Auch als Kritiker ist Gernhardt selbst längst eine Instanz. Manches sich ernst gerierende Werk hat er als puren Humbug entlarvt, doch auch manches verborgene Pflänzchen hat er gehegt. Zumal mit dem lyrischen „Handwerk“ innig vertraut, seziert er dichterische Hervorbringungen (etwa von Wolf Biermann) so triftig und erhellend, dass ihm dabei allenfalls ein Enzensberger das Wasser reichen kann. Wann endlich erscheinen seine gesammelten Rezensionen als Buch?

Reime sind keinesfalls verpönt

Wie sonst nur noch Peter Rühmkorf, hat Gernhardt immer wieder bewiesen, dass Gedicht und Reim sich auch heute keinesfalls „beißen“ müssen. Der willkürlich gehackte Zeilensalat eines krampfhaften Modernismus ist ihm ebenso ein Gräuel wie alles volltönend Verblasene. In dem Band „Klappaltar“ hat er, parodistisch grundsolide gerüstet, Goethe, Heine und Brecht auf ihre bleibende Substanz hin überprüft – und zwar jeweils so ziemlich „auf Augenhöhe“.

Doch lassen wir den Autor zum Schluss selbst sprechen, liebe Gemeinde. Das folgende Gedicht, das in zunächst weihevollem Ton denn doch entschlossen zur Sache kommt, heißt „Vom Leben“:

„Dein Leben ist dir nur geliehn – / du sollst nicht daraus Vorteil ziehn.

Du sollst es ganz dem Andren weihn – / und der kannst nicht du selber sein.

Der Andre, das bin ich, mein Lieber – / nu komm schon mit den Kohlen rüber“.