Das Theater sieht sich als Pflichtaufgabe – beim Berliner Kongress zur Krise der Bühnen

Aus Berlin berichtet
Bernd Berke

Ein ums andere Mal konnte man staunen beim Berliner Kongress „Bündnis für Theater“. Debattenbeiträge kamen in dichter Folge von Teilnehmern aus Dortmund, Siegen, Köln, Bonn, Düsseldorf, Krefeld und Münster. Schließlich wunderte sich auch Moderator Hansjürgen Rosenbauer: „Eine alte Befürchtung wird wahr: NRW hat Berlin übernommen.“

Offenbar ist an Rhein und Ruhr das Bewusstsein für die Finanzkrise der Bühnen am meisten geschärft. Prominente Berliner Theaterleute, die im schmucken Kronprinzenpalais ein „Heimspiel“ gehabt hätten, blieben hingegen der Veranstaltung fern.

Auf einen zentralen Begriff konnten sich praktisch alle Anwesenden einigen. Bundespräsident Rau, seit geraumer Zeit mahnender Fürsprecher der Theaterkunst und Miturheber des „Bündnis“-Gedankens, gab das Stichwort vor: Kulturförderung dürfe von der Politik nicht mehr als freiwillige Leistung, sondern müsse als öffentliche „Pflichtaufgabe“ verstanden und auch verankert werden.

Das Gejammer ist man leid

Fortan kam der Kongress immerwieder auf das Zauberwort „Pflichtaufgabe“ zurück. Stünde es erst einmal (wie in Sachsen bereits geschehen) in den Gesetzen, so könnten Kulturmittel nicht mehr ohne weiteres gestrichen werden. Endlich einmal dürfte man sich dann „auf Augenhöhe“ mit anderen Bereichen sehen. Kulturstaatsministerin Christina Weiss möchte überdies erreichen, dass derlei kulturelle Verpflichtungen nicht nur auf dem Papier sich ausbreiten, sondern „vor allem in den Köpfen“.

Theaterleute und engagierte Kulturpolitiker sind das jammervolle Krisen-Gerede offenbar ziemlich leid. Amelie Niermeyer, finanziell gebeutelte Intendantin in Freiburg: „Wenn wir immer nur die Krise beklagen, hört uns irgendwann keiner mehr zu.“ NRW-Kulturminister Michael Vesper bilanzierte zum Schluss, dies sei gottlob „kein Jammer-Kongress“ gewesen, sondern ein selbstbewusster Auftritt der Theaterschaffenden nach dem Leitsatz: „Wir bieten das, was die Gesellschaft braucht.“ Genau so müsse die Kultur auf die Politik zugehen.

Boulevardisierung greift um sich

Beklagt wurde freilich das mediale Umfeld. Die Boulevardisierung greife derart um sich, dass man damit nicht mehr konkurrieren könne. „Wir dürfen nicht alle Mensehen erreichen wollen“, lautete ein bemerkenswerter Befund. Gewiss wolle man sich um jedes Publikumssegment bemühen, doch wenn etwa bei der ZDF-Sendung über „Die größten Deutschen“ ein Daniel Küblböck mehr gelte als manche Klassiker, so dürfe man solchen Entwicklungen nicht hinterherlaufen.

In vier thematischen Foren sichtete der Kongress etliche konkrete Ansatzpunkte – von der theatergerechten Reform der Tarifverträge bis hin zu neuen Marketing-Konzepten. Dortmunds OB Gerhard Langemeyer erläuterte die womöglich bundesweit beispielhaften Vorteile des Theater-Eigenbetriebes, der über die Verwendung kommunaler Mittel selbstständig entscheidet. Essens Kulturdezernent Oliver Scheytt suchte schließlich nach starken Bündnispartnern fürs Theater und hoffte, sie in Schulen, Medien und Kulturbetrieben anderer Sparten zu finden.

Idealistisch gab sich Wolfgang Suttner, Kulturdezernent von Siegen/Wittgenstein. Wenn Menschen erst einmal von Kultur „angezündet“ seien, so sei diese „nicht mehr so leicht kaputt zu machen“. Ihm wurde freilich entgegengehalten, dass eine Mehrheit kulturell zu „erkalten“ drohe. Sollte denn am Ende alles eine klimatische Frage sein?