Die Treue des Verführers – Peter Handkes Buch „Don Juan (von ihm selbst erzählt)“

Von Bernd Berke

Hier steht etwas, worüber sich Feministinnen ärgern dürften, nämlich ein Zitat über offenkundig devote Damen: „Ihn, Don Juan,…betrachteten jene Frauen als ihren Herrn, den alleinigen, auf immer…“

Der alte Mythos des Frauenverführers Don Juan lebt also wieder auf, unverfrorener denn je? Nicht doch! Peter Handke, der die legendäre Figur erscheinen lässt, meint „Herr“ ausdrücklich nicht im Sinne von „Gebieter“.

Überdies hegt der Autor ein eher keusches Verständnis von Verführung. Vom Körperlichen ist in seinem neuen Buch „Don Juan (erzählt von ihm selbst)“ nur im Vorübergehen die Rede, buchstäblich en passant: Dieser Don Juan ist ein Vagabund. Eines Tages aber sitzt er unvermittelt in Haus und Garten des namenlosen Ich-Erzählers auf der Île de-France (weit vor den Toren von Paris), lässt sich bewirten und erzählt dafür just eine Woche lang seine Erlebnisse der vorherigen sieben Tage. Der Gastgeber erweist sich als gutgläubiger Zuhörer.

Es herrschen Eigenmaß und Eigenzeit

Handke setzt Stunden und Orte nach Gutdünken, hier herrschen Eigenmaß und Eigenzeit. In sieben Ländern, so die Geschichte, sei Don Juan in jenen sieben Tagen gewesen – die immense Strecke reicht von Georgien über Syrien und die nordafrikanische Enklave Ceüta bis nach Holland und Norwegen. Und überall hat Don Juan je eine bestürzend einsame, doch wunderschöne Frau so besonders angeschaut, dass sie ihm gleich verfallen ist. Sein Blick weckte ihr Begehren. Er selbst nennt diese Phase füglich seine „Frauenzeit“. Don Juans Diener lieferte derweil die Farce, indem er sich jeweils die hässlichsten Frauen aussuchte und sie halb lüstern, halb widerstrebend herzte.

Um Sexualität geht es bei Handke allenfalls unterschwellig, auch wenn da anfangs ein Geschlechtsakt in freier Natur zelebriert wird. Doch sein Don Juan ist auf anderes aus: auf den heiligen, alles umfassenden Eros, auf eine innere „Bewegung“, die den ganzen Leib und Geist ergreift, kurzum auf Erweiterung des Bewusstseins, das sich öffnet für die reine Wahrnehmung der vollen Welt.

Belagert von Amazonen

Don Juans karge Berichte, die so vieles aussparen, ziehen gleichwohl den Ich-Erzähler des Buches in Bann. Als gegen Ende die versammelten Frauen sein Refugium bedrohlich wie Amazonen belagern, blüht seine Hoffnung aufbessere Tage: „Sogar ich, der, was Frauen anging, mich längst als ausgezählt ansah, dachte… auf der Stelle: / ,Zählt mich neu dazu.‘ Mit diesen Frauen da war noch etwas zu erleben – Gott weiß was.“

Auch dabei geht’s wohl nicht um Orgien. Zitat: „Ich kann es bezeugen: Don Juan ist ein anderer. Ich sah ihn als einen, der treu war – die Treue in Person.“ Doch wem ist er treu? Sich selbst? Einer Vielzahl von Frauen? Seiner untröstlichen Traurigkeit, allen Frauen zum Trotz? Der Leser darf es für sich entscheiden.

Vergleichsweise heitere Prosa

Zwischendurch gerät Don Juan in arge Verwirrung und krankhaften Zählzwang, er wird im rein zeitlichen und mitmenschlichen Sinne „taktlos“. Doch das gibt sich. Wie dies denn überhaupt eine vergleichsweise heitere Handke-Prosa ist.

Der Autor bekräftigt Visionen und Erleuchtungen mit allemal sorgsam abgewogenen Worten, zudem mit allerlei Doppelungs-Formeln wie „noch und noch“ oder gar „gelbgelb“, wenn es denn unvergleichlich gelb sein soll.

Dringlich wirkt diese Erzählweise, doch oft auch wunderbar entspannt wie ein langes Mantra. Es macht tatsächlich Lust aufs Unterwegssein, auf Ruhe im steten Wandel – und noch auf manches mehr…

Peter Handke: „Don Juan (von ihm selbst erzählt)“. Suhrkamp. 159 Seiten; 16,80 Euro.